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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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in den Tag hinein raisonierenden Schwätzer über die erwähnten Gegenstände, mit Festungshaft auf unbestimmte Zeit belegen lassen und ist derselbe auf die Festung Hohenasperg abgeführt worden.«
    Einen Monat später mußten auch die württembergischen Blätter das 29. Bulletin drucken und somit die »unwahren und unschicklichen Äußerungen« des hart gestraften Perückenmachers bestätigen. Am 26. Dezember erschien General von Kerner vor König Friedrich I., um Bericht über die katastrophale Lage zu erstatten. Als er mit den Worten »Ew. Majestät haben keine Armee mehr« endete, brach er vor dem König zusammen.
    Als Leutnant Christian von Martens am 20. Januar spätabends Künzelsau erreichte, war im Gasthaus »Schwanen« gerade Ball. »Des Spaßes halber begab ich mich dennoch in den Tanzsaal, welcher Umstand aber die heitere Stimmung der Gäste etwas störte, denn meine frostige Erscheinung lähmte bei einigen die Tanzlust, die einen Augenblick der Neugierde weichen mußte; mitzutanzen, wie es am ersten Tagmeines Ausmarsches in Bitzfeld geschah, davon war freilich jetzt keine Rede.« Einen Tag später erreichten von Martens und seine Gefährten mittags Heilbronn. »Zu demselben Tore fuhr ich herein, durch welches das schöne Regiment Kronprinz jubelnd ins Feld hinauszog, aber nun nicht mit dem schwankenden Federbusche auf dem Helme und der glänzenden Schärpe abgetan, sondern als einziger dieses Regiments mit erfrornen Gliedern und wehmütigem Blick und Gefühle.«
    Der westphälische Musikmeister Friedrich Klinkhardt erreichte unversehrt seine alte Garnison im anhaltinischen Aschersleben: »Das Regiment exerzierte bereits, achthundert Mann stark, auf der Herrenbreite. Das Gefühl kann ich nicht beschreiben, welches ich bei diesem Anblicke empfand. Hatte ich in Moshaisk stets einen Schwindel empfunden, wenn der General von Heßberg den Namen Aschersleben nannte, wohin ich allein zurückreisen sollte, so wurde ich hier fast vor Freuden ohnmächtig. Ich war stumm und glaubte immer noch zu träumen, aber mein Herz erfüllte sich mit innigem Danke zu Gott, dessen allmächtige Hand mich so wunderbar durch Tausende von Gefahren geführt hatte. – Beim Gastwirt Bode, meinem alten Quartierherrn, stieg ich ab, hier fand die Freude und Bewillkommnung kein Ende. Meine alten Kameraden stellten sich ein, und ein frohes Wiedersehen wurde gefeiert. Bald aber wurde die große Freude getrübt. Väter, Mütter, Schwestern, Brüder, Bräute meiner in Rußland gebliebenen Kameraden stellten sich ein, um von mir zu erfahren, was aus den Ihrigen geworden wäre. Fast hundert junge Männer aus Aschersleben waren im vergangenen Jahre mit der großen Armee ausgezogen, und wer war zurückgekehrt? Von einigen konnte ich Rechenschaft geben, wo sie geblieben waren und auf welche Weise sie ihren Tod gefunden, aber die meisten waren verschollen, und niemand wußte, an welcher Stelle sie ihren letzten Seufzer getan. Die Ausbrüche des Schmerzes und der Verzweiflung waren schließlich so, daß ich es nicht mehr ertragen konnte und mich entfernte.« Klinkhardts Regiment,die 2. Husaren, war mit 900 Reitern ausgerückt, nur 40 kehrten zurück, darunter keiner von Klinkhardts Regimentsmusikern.
    Louis von Kaisenberg, Soldat im westphälischen Elite-Regiment Garde du Corps, das nicht am Feldzug teilgenommen hatte, schildert in einem Brief vom 18. Februar 1813 aus Kassel an seinen Vater den Anblick der heimgekehrten Soldaten: »Teurer Vater! Ich war so weit in meinem Schreiben gekommen, als ich von Lehsten überrascht wurde, der mit dem Rufe: ›Louis, komm mit hinaus, es nahen die ersten Haufen der großen Armee‹, in meine Stube gestürzt kam. Wir eilten nach der Aue, und da standen denn ein Häufchen von ungefähr 50 Mann dieser Unglücklichen, die dem Graus der Elemente, den feindlichen Schwertern und dem Hunger entflohen waren. O teuerer Vater, es war das ein Anblick zum Gotterbarmen. Wenn ich mir den Tag in das Gedächtnis rufe, an dem wir die Truppen von hier marschieren sahen in dem Glanze ihrer Uniformen und ihrer frischen Jugendlichkeit, ein jeder mit der Hoffnung auf zu erringenden Ruhm und zu erwerbende Ehren erfüllt, und nun! Wie sahen die Unglücklichen aus! Die Köpfe und die Füße in Lumpen gehüllt, der übrige Körper bedeckt mit Fetzen von allen möglichen Stoffen oder Strohmatten. Auch Tierfelle, noch voll des vertrockneten Blutes, deckten ihre Blößen. Der Ausdruck ihrer bleichen Züge war ein schrecklicher, die Augen

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