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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Knute in ein viel zu enges Gelaß zusammen und schloß sie allem Jammergeschrei zum Trotz ein. Bei dem nun entstehenden Gedränge, in dem der Trieb der Selbsterhaltung alle Schranken menschlicher Rücksicht niederriß, fanden eine ganze Anzahl Soldaten ihren Tod, viele andere waren, durch Fieber geschwächt, am anderen Morgen so krank, daß sie nicht aufstehen konnten. Diese alle wurden ohne Erbarmen von den Ratniks erstochen! Fast die Hälfte der in der Lohgerberei Eingesperrten endete auf diese Weise, ohne daß auch nur der Versuch gemacht wurde, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Was lag den Russen auch am Leben ihrer Kriegsgefangenen?! Auf dem Marsch von Kaluga nach Orel sind in ähnlicher Weise über 400 Mann umgekommen!«
    Die am Abend des 5. November in Orel angekommenen Mannschaften wurden in einer Reitbahn, deren Fenster alle zerschlagen waren, untergebracht: »Ströme von Wasser wurden durch die offenen Fenster hineingepeitscht, und bald stand es an vielen Stellen zollhoch in dem Raum, in dem die Unglücklichen eine entsetzliche Nacht zubringen mußten. Am anderen Morgen waren 30 dieser Qual erlegen und die übrigen zum großen Teil völlig zu Ende mit ihren Kräften. Der Typhus, der schon lange unser steter Begleiter gewesen, brach in dieser Nacht mit aller Gewalt aus und forderte gleich in den folgenden Tagen zahlreiche Opfer. – Diese mitleidlose Behandlung der Kriegsgefangenen durch die städtischen Behörden erregte jedoch unter den wohlgesinnten Bürgern, trotz ihres Hasses gegen alles, was mit Napoleon zusammenhing, einen Sturm der Entrüstung. Man bildete einen Ausschuß zur Fürsorge für die Gefangenen und zwang die Polizei, noch an demselben Tage für deren angemessene Unterkunft und Verpflegung zu sorgen.«
    Wilhelm von Conrady gelang es, zum Gouverneur vorzudringen und sich über die Behandlung zu beschweren: »Anfangs hörten sie mich ganz freundlich an, bald aber unterbrachen sie meine nur zu berechtigten Beschwerden über die unwürdige Behandlung der Kriegsgefangenen mit einer Flut von Schmähungen gegen Napoleon und die Franzosen. Immer heftiger werdend, warfen sie mir die Einäscherung von Smolensk, Moskau und vieler anderer Städte, die Zerstörung ihrer Kirchen und Heiligtümer, die Verwüstung ihres Landes vor und verschworen sich in hellem Zorn, daß auch nicht einer von den Mordbrennern entkommen solle. ›Und was die Behandlung der Kriegsgefangenen anbelangt‹, rief einer der Herren, ›hat Napoleon etwa die unsrigen mehr geschont? Hat er nicht beim Abmarsch aus Moskau Befehl gegeben, alle russischen Kriegsgefangenen, die auf dem Transport sich zu entfernen versuchten oder nicht mehr mitkämen, niederzuschießen? Und dafür sollen wir keine Vergeltung üben?‹ – Hiergelang es mir zu Worte zu kommen und den Herren zu erklären, daß ich zwar die Berechtigung ihres Zorns zu meinem Bedauern nicht bestreiten könnte, aber ebenso stände ich mit meinem Kopfe dafür ein, daß von keinem Deutschen dieser barbarische Befehl je befolgt, hingegen alles getan sei, um das Los der Gefangenen erträglich zu machen.«
    Die Rettung kam, als in diesem Augenblick ein Brief von General Dorochow an den Gouverneur eintraf: »Darin wurden die Behörden in Orel angewiesen, alles zu tun, um den deutschen Offizieren und Soldaten, die in Wereja gelegen und die Einwohner menschenfreundlich behandelt hätten, die Kriegsgefangenschaft möglichst leichtzumachen. So lohnte sich die gute Tat im wahrsten Sinne des Wortes selbst, aber dem edelmütigen Feinde war ich von Herzen dankbar, daß er sein damaliges Versprechen, unser Los zu erleichtern, wahr gemacht hatte.« Man brachte die Offiziere nun in einem Gasthof unter. »Als ältester der hier untergebrachten Offiziere war ich so glücklich, mit meinem treuen Sievert eine Stube allein zu bekommen, während die anderen Herren sich mit ihren Bedienungen immer zu je zwei in ein Zimmer teilen mußten. Freilich wurde bald mehr Platz, denn die furchtbaren Entbehrungen der letzten Tage hatten die Gesundheit vieler so untergraben, daß sie bereits am folgenden Tage in das Lazarett geschafft werden mußten, welches sie infolge schlechter Pflege lebend nicht mehr verließen. Es war ein ergreifender, unvergeßlicher Augenblick, als ich den treuen Männern, mit denen ich so viele Monate lang in Freud und Leid, in Not und Tod zusammen gewesen war, deren bewundernswerte Pflichttreue und Energie alle die furchtbaren Leiden der letzten Wochen überwunden hatte, zum

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