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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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durchgehauen, daß ihnen in ganz kurzer Zeit die blutigen Fetzen Fleisch buchstäblich am Rücken herniederhingen. Einige mußten sogar vom Platze getragen werden. Eine derbe Züchtigung gebührte diesen infamen Spitzbuben allerdings, denn sie hatten alle Lebensmittel, welche in den sechs Tagenfür 800 Mann geliefert worden waren, unterschlagen und verkauft.«
    Und wieder hatte der junge Rheinländer Glück. Er wurde als Reitknecht im Haushalt Orlowskys angestellt, bestens gekleidet und ernährt, während sich ein Arzt erfolgreich der verletzten linken Schulter annahm. Er durfte nun den Obersten auf das Landgut von Verwandten in der Nähe von Witebsk begleiten, wo Orlowsky seine Frau und Tochter untergebracht hatte. Hier blieb Schehl bis zum Herbst 1814, wo er bei der Hochzeit von Orlowskys Tochter den Baron Carl von Manteuffel-Szoege kennenlernte, als dessen Gast er bis Mai 1815 blieb. Über Riga trat Schehl – bis Stettin zu Schiff – seine Heimreise an, machte zwei Monate Zwischenstation in Berlin und sah im Spätsommer seine Heimatstadt Krefeld wieder.
    Leutnant Carl von Wedel wurde am 19. November in einem Dorf bei Orscha von 50 Kosaken überrascht, als er gerade bei einem polnischen katholischen Priester eine kleine Mahlzeit verzehrte. Nachdem er wie üblich um Geld, Uhr und Kleidung beraubt worden war, lieferte man ihn an einem Sammelplatz von 200 Gefangenen ab. Graf Wedel wurde von einem russischen Obersten verhört, ein Dragoneroffizier übersetzte, der, als er den Namen Wedel hörte, wissen wollte, ob er »ein Verwandter des tapferen Generals Wedel, des Freundes Friedrichs des Großen, sei«, worauf der Graf kühn behauptete, ebender sei sein Großvater. Der Kosaken-Oberst, der gerade eine russische Geschichte Friedrichs gelesen hatte, bedauerte, den Enkel des Berühmten »in dieser Lage zu sehen«, gab ihm Geld, einen Mantel, eine Mütze und ein Pferd und von Wedel mußte ihnen folgen.
    »Nach etwa einer Stunde ward haltgemacht. Die Offiziere stiegen ab und forderten mich auf, dasselbe zu tun. Es wurde ein Tischlaken auf der Erde ausgebreitet; ein gewaltig dicker Kosak trat mitten darauf und band seinen Gürtel los. Ich war sehr erstaunt über diese Art der Vorbereitung, aber noch erstaunter, als der dicke Kerl mit einem Male ganz schlankwurde und aus den niederfallenden Schößen seines langen Gewandes Würste, Koteletten, Brot, Käse usw. auf das Tischlaken stürzten. Auch Wein und Likör wurde darauf gestellt. Das Tischlaken war so fein, der Wein und Likör so vortrefflich, daß ich mein Erstaunen dem Dragoneroffizier äußerte: Einen besseren Wein und besseren Curaçao hätte ich in meinem Leben nicht getrunken. Die Offiziere lachten, und mir ward das Rätsel gelöst. Vor einer Stunde hatten sie einen Packwagen des Königs von Neapel genommen, woraus all die guten Dinge stammten. Das Tischtuch trug das Zeichen J (Joachim) mit der Königskrone. Ich freute mich jetzt, daß der tapfere König so gut für sich gesorgt hatte.«
    In einem Dorf erhielt Leutnant von Wedel ein Zimmer in dem Haus, in dem der Oberst abgestiegen war, und durfte als einziger der 16 gefangenen Offiziere an des Obristen Tafel Platz nehmen, wo auch des Obersten französische Geliebte saß. Alle gefangenen Offiziere sollten mit Wagen nach Witebsk gebracht werden. Doch am anderen Morgen, der Oberst war schon fort, gab es keine Wagen, und alle mußten in einer großen, von Kosaken eskortierten Kolonne nach Witebsk. Da man aber bemerkt hatte, daß der gefangene Leutnant offenbar ein Schützling des Obersten war, wurde ihm ein Pferd zugestanden und er von den Kosaken mit Schnaps, Brot und Speck bewirtet.
    In Witebsk wurden die 20 Offiziere in einem leerstehenden Haus in einem einzigen Zimmer untergebracht, die Scheiben der drei Fenster waren defekt. »Unser Zustand war höchst elend. Ermattet, ausgehungert, voller Ungeziefer und Schmutz, mit langen Bärten, ohne Mittel, uns zu reinigen, blaß, elend und in Lumpen gehüllt, würden wir uns selbst und gegenseitig ein Gegenstand des Ekels gewesen sein, wenn wir nicht schon alles Gefühl von Ekel verloren hätten. Der schmutzigste Bettler konnte nicht widerlicher aussehen als die 20 hier versammelten Offiziere.« Doch dann wurden tatsächlich die Fenster erneuert und ein Barbier geschickt, doch nicht dievöllig verlauste Kleidung ersetzt. Unter den Gefangenen befand sich ein erkrankter älterer französischer Hospital-Inspektor, dessen Zustand sich verschlimmerte und der bald nicht mehr vom

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