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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Plagen der armen Leidenden. Es war in Wahrheit ein Ort des Schreckens und des Elendes, fast noch schrecklicher als an der Beresina.
    Unsere Wärter waren größtenteils rohe, gefühllose Menschen. Glaubten sie, daß ein Kranker verschieden sei, so fragten sie in russischer Sprache: Kamerad, bist du tot? Erfolgte keine Antwort, so traten sie zwischen die Lager, untersuchten, ob es für sie noch etwas zu plündern gäbe, warfen dann den Körper herum, daß der Kopf des Toten nach dem Gange hin zu liegen kam, schürzten einen Strick um den Hals desselben und schleppten so im raschen Schritte die Leiche durch den Saal, die Treppe hinunter in den Hof zu dem Haufen Leichen, welche sich Tag für Tag hier auftürmten. Der schreckliche dumpfe Schall, den das Herabschleifen der toten Körper von der Treppe verursachte, schwebt mir noch jetzt vor den Ohren.
    Hatten sich die Leichen gehäuft, so wurden sie vor die Stadt geführt und dort verbrannt, denn bei dem hartgefrorenen Erdboden war an kein Begraben zu denken. Einige Male, nachdem ich wieder hergestellt war, führte mich Junker zu einem Fenster des Lazarettes, wo ich in der Ferne das Verbrennen solcher Leichenhaufen sehen konnte.
    Unter den vielen Schreckensszenen, welche ich hier erlebte, bleibt eine, ihrer Gräßlichkeit wegen, mir unvergeßlich. Eines Tages hatte ein Wachtmeister von den französischen Chasseurs bewußtlos auf seinem Lager gelegen und auf den Zuruf des Aufwärters nicht geantwortet. Ohne viele Umstände zu machen, hatte derselbe den Strick um den Hals des Ohnmächtigen geschürzt, ihn in den Hof geschleppt und seiner Kleider beraubt. Nach einiger Zeit brachten andere Aufwärter den Unglücklichen nackt auf sein Lager zurück. Er war wieder ins Leben zurückgekehrt und lebte noch einige Tage, hatte aber die Sprache verloren.«
    Mitte März 1813 wurde eine Kolonne von 300 Gefangenen nach Welikije Luki in Marsch gesetzt; Wesemann und andere noch nicht Genesene transportierte man auf Schlitten. Hier gab es ein vorbildliches, von einem Hamburger Arzt geleitetes Lazarett, zum ersten Mal eines mit richtigen Betten. »Die Säle und wir selbst wurden gereinigt, wir erhielten reine Wäsche und wurden dann in die reinen Betten gelegt. O wie wohl fühlten wir uns da! Nach langer Zeit konnten wir, von Ungeziefer frei, einmal wieder ruhig schlafen und wurden durch ruhigen Schlaf erquickt. Es waren nun auch ordentliche Krankenwärter angestellt, und alles, was zu unserer Verpflegung gehörte, wurde von dem braven Arzte aufs genaueste beaufsichtigt.«
    Die Gefangenen waren nicht zur Arbeit verpflichtet, suchten aber von sich aus eine Beschäftigung, um zu etwas Geld zu kommen: »Die Franzosen wußten manche feine Arbeiten, Körbchen, Ringe und dergleichen, aus Stroh und Pferdehaaren zu verfertigen, wozu sich gewöhnlich Abnehmer fanden.Andere, welche dergleichen künstliche Arbeiten nicht machen konnten, übernahmen Arbeiten anderer Art bei den Einwohnern. Auch ich nahm Arbeit bei einem Lohgerber. Obgleich ich früher von diesem Geschäfte nichts verstand, so lernte ich doch bald die von mir verlangten Arbeiten zur Zufriedenheit meines Brotherrn verrichten und verdiente mein Essen und täglich 8 Pjatak oder etwa 3 ggs Lohn. Diejenigen Gefangenen, welche keine Arbeit erhielten oder keine annehmen konnten oder wollten, mußten sich freilich mit dem, was sie von der russischen Regierung erhielten, oft kümmerlich genug durchhelfen, auch wohl betteln, aber da kamen denn die vielen Fastenzeiten der Russen sehr gelegen. Denn die Tage, welche der Fastenzeit vorhergingen, waren Tage des Wohllebens, und Fleischspeisen wurden in großem Überflusse zubereitet und genossen. Fast niemals wurde alles aufgezehrt. Da nun die Fastenzeiten von den Russen so äußerst streng gehalten wurden, daß man es für große Sünde hielt, in diesen Tagen etwas zu genießen, das von vierfüßigen Tieren oder Vögeln herstammte, auch keine Eier und keine Butter genießt, sondern höchstens Fische statt der Fleischspeisen und die Speisen mit Öl fettet, so wurde das übriggebliebene Fleisch gewöhnlich den Kriegsgefangenen gegeben, die dann vollauf zu leben hatten. Die strenggläubigen Russen wunderten sich freilich, daß jene ungescheut solche große Sünde begingen, in den Fastenzeiten Fleisch zu essen, und riefen uns deshalb oft zu: Welche Sünde, welche Sünde!«
    Kurz nach Pfingsten wurden die – inzwischen 500 – Gefangenen auf einen Marsch geschickt, der bis Mitte Oktober dauerte und erst

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