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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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in Orlow endete, wo sie gut versorgt und von den Einwohnern freundlich behandelt wurden. Im Frühjahr 1814, als allen die Entlassung bekanntgegeben wurde, folgte der Rückmarsch über Riga, Königsberg und Berlin. Am 22. Juli 1814 war Heinrich Wesemann wieder daheim in seinem Geburtsort Söhlde.
    Ludewig Fleck vom westphälischen Gardejäger-Bataillongeriet wie Roos und Wesemann ebenfalls an der Beresina in Gefangenschaft. Nachdem er von den Kosaken durchgeprügelt und mit Pikenstößen malträtiert worden war, wurde er ausgezogen und seiner Kleidung beraubt; man ließ ihm nur seine Weste und den schon halbverbrannten Mantel. Ohne Halstuch und ohne Tschako hätte er die erste Nacht nicht überlebt, doch ein alter General, den er um Hilfe anflehte, gab ihm eine Mütze, ein Halstuch und einen Kosakenmantel. Mit 2800 anderen Gefangenen begann dann der Marsch ins Landesinnere. Doch schon in der ersten Nacht wurden alle Gefangenen in einen Kreis getrieben, den sie nicht verlassen durften. Da ihnen auch das Anzünden eines Feuers verboten wurde, war die Zahl der Erfrorenen groß. In den nächsten vier Tagen bekamen sie keine Lebensmittel, und die Zuteilung von Feuerholz blieb spärlich. Danach gab es zwar eine dürftige Verpflegung, aber die strenge Kälte ließ immer mehr Menschen sterben. Am 20. Dezember lebten nur noch 400 Gefangene. In Roslow gelang Fleck die Flucht. Aufnahme fanden er und ein gleichfalls geflohener Badener auf einem Gut, dessen abwesender Besitzer Franzose war, der einst als Offizier in der russischen Garde gedient hatte und verheiratet mit einer Deutschen war, die sich der beiden erbarmte. Fleck, im Zivilberuf Förster, machte sich auf dem Gut als Wolfsjäger nützlich, der badische Soldat, ein gelernter Schuster, in seinem Beruf. Als im Mai 1813 bei einer plötzlich ausbrechenden Epidemie die Gutsherrin starb, lernte Fleck bei deren Beisetzung einen russischen Gutsbesitzer kennen, der Fleck liebevoll aufnahm. Doch im August mußte er sich den Behörden stellen, die ihn mit einem Gefangenentransport nach Saratow schickten, das man im Oktober erreichte. Sie wurden hier wie alle anderen von den deutschen Kolonisten besonders herzlich aufgenommen, und einige Sachsen und Württemberger erklärten, hierbleiben und nicht mehr heimkehren zu wollen.
    Ende Dezember 1813 brachte man Fleck in einer Kolonnevon Westphalen, Bayern, Württembergern, Sachsen und Badenern über 200 Kilometer nordwestlich nach Pensa, wo vor allem von einem deutschen Schneider Ahlsdorf und einem deutschen Schuster Kracht gesprochen wurde, »die sich beide durch Mildtätigkeit gegen die Gefangenen so ausgezeichnet hätten, daß sie in allgemeiner Achtung ständen«. Fleck lernte beide kennen: »Da der Schneider Ahlsdorf zugleich Inhaber des besten Gasthofs in Pensa war, begab ich mich sobald als möglich zu ihm. Ich wurde äußerst freundlich aufgenommen. Der ehrliche Schneider war über die Maßen froh, wieder einem deutschen Landsmanne in der Not helfen zu können; er erquickte mich alsbald durch Speise und Trank und sagte mir, ich könne zu jeder Zeit in sein Haus kommen und essen, wenn ich wollte. Darauf besah er meine Garderobe, und als er sie schlecht genug fand, ließ er sie sofort durch seine Leute ausbessern und ergänzen.
    Auch Kracht lud mich in sein Haus ein und besorgte mir für eine billige Vergütung gutes und dauerhaftes Schuhwerk. Diese beiden guten Menschen boten alles auf, um uns den Aufenthalt in Pensa zu einem angenehmen zu machen. Sie veranstalteten kleine Festlichkeiten, wo auf das Wohl Deutschlands getrunken wurde; sie machten uns mit der Umgegend, soweit es die Jahreszeit zuließ, bekannt, und oft habe ich mit ihnen gemeinsam Schlittenfahrten gemacht. Sie wußten immer zuerst die Nachrichten von den Siegen, die die Verbündeten in Deutschland errungen hatten, von Napoleons Zurückweichen, von der Möglichkeit des nahen Friedens; sie jubelten mit uns darüber, daß die Zeit unserer Erlösung immer näher kam.«
    Im Februar 1814 wurde allen Gefangenen die Entlassung mitgeteilt. Für die Offiziere gab es Wagen, die Mannschaften gingen zu Fuß, wo sie dann im Sommer 1814 in ihren jeweiligen Heimatorten ankamen, Ludewig Fleck in seinem Geburtsort Hildesheim.
    Ganz anders war das Schicksal eines anderen westphälischenSoldaten, des Artillerie-Wachtmeisters Jakob Meyer, der am 6. Dezember bei Benitzka in Gefangenschaft geriet. Gemeinsam mit 2000 Gefangenen mußte er ostwärts marschieren, wobei in den drei Tagen

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