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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Smolensk und wurden nach mehrstündigem Harren endlich in einem großen Dom ( Haus ), den zugleich auch vornehme Geistliche bewohnt haben mochten, aufgenommen. Wir stiegen mühsam einige kostbare Treppen in dieHöhe und wurden durch einen langen und breiten Saal geführt, in dem mehrere hundert blessierte Franzosen in langen Reihen auf wenigem Stroh oder Heu lagen. Der Anblick war zum Erbarmen! Es waren meistenteils Amputierte, viele hatten nur noch einen Arm und ein Bein, und ihr klägliches Wimmern durchschnitt uns das Herz. Dabei war die Luft so mit fauligsten Ausdünstungen geschwängert und dick, daß man nur mit Mühe atmen konnte. Das an diesen Saal stoßende Zimmer, mit schönen seidenen Tapeten verziert, war zu unserer Aufnahme bestimmt, in welchem wir auch schon mehrere blessierte Offiziere vorfanden. (…) Unsere Bedienten hatten inzwischen für ein leidliches Lager gesorgt, auch wurde uns noch eine Brotsuppe aufgetischt, an welcher der Hunger die beste Würze war. Vor Müdigkeit schliefen wir bald ein. Am anderen Morgen wurden wir frisch verbunden, wobei mir meine eigenen leinenen Binden und Kompressen sehr gute Dienste taten, denn im Lazarett war selbst für dieses wesentliche Bedürfnis so schlecht gesorgt, daß schon an diesem Tage ein großer Teil unserer seidenen Tapeten zu Bandagen verwendet werden mußten.«
    In Smolensk hatte man 15 große, vom Feuer verschont geblieben Gebäude zu Lazaretten umgerüstet und dort sogar Wein, Branntwein und einige Medikamente gefunden, die von den Russen zurückgelassen worden waren. Erst drei Tage später entdeckte man ein Hospital mit 100 Verwundeten, die man schlicht vergessen hatte, in erbarmungswürdigem Zustand. Napoleon schickte den dort noch Lebenden Wein aus seinem eigenen Bestand und beschloß, sich selbst ein Bild vom Zustand der Smolensker Lazarette zu machen. Wie das ablief, erlebte Leutnant Köhler: »Nie wird diese Stunde aus meiner Erinnerung weichen. Seine Ankunft verkündigte uns zuerst ein lang gehaltenes geisterartiges Vive l’empereur -Rufen von der Seite jenes Saales her, den wir bei unserer Ankunft durchschritten hatten; es waren jene Jammergestalten, die gestern unser tiefstes Mitleid erregten und die jetzt beim Anblick ihresgeliebten, mit Ruhm gekrönten Feldherrn gleichsam den letzten Hauch ihres Lebens aufboten, um ihm auch wahrscheinlich das letzte Lebehoch zu bringen. Wer kann etwas Erhabeneres, aber auch zugleich Rührenderes sich denken, und welch ein großes Übergewicht mußte ein Mensch über andere erlangt haben, welchem selbst diese gleichsam Hingeopferten im jammervollsten Zustand, von allem entblößt, was ihre Lage hätte lindern können, noch in Sterben ein Zeichen ihrer Verehrung brachten! Nachdem diese Aklamationen aufgehört hatten, öffneten sich die Türen unseres Zimmers, und vor mir stand der größte Mann seines Zeitalters, umgeben von den berühmtesten Generalen. Erinnerlich sind mir noch die Gestalten des ritterlichen Marschalls Ney und des mehr finsteren Berthier. Napoleon in seiner einfachen grünen Uniform mit dem bekannten kleinen Hütchen ging mit zurückgeschlagenen Armen im Zimmer umher, sprach mit mehreren der Blessierten, die er zu kennen schien, und blieb endlich dicht neben mir stehen und unterhielt sich längere Zeit mit dem mir zur Linken liegenden Offizier, einem Adjutanten Murats, wie ich nachher erfuhr. Es war dieses schon ein älterer Mann, der mit dem Kaiser in Ägypten gewesen. Im Vorbeischreiten erkundigte sich Napoleon nach der Zeit und Gelegenheit, wo er blessiert worden, und nachdem ihm jener geantwortet hatte, wendete er sich zu mir mit den Worten: Et vous, Monsieur? Da er aber sah, daß ich ihm wegen meiner Halswunde nicht rasch und laut antworten konnte, so ging er weiter. Im Gefolge des Kaisers befand sich auch ein Zahlmeister mit einem Unteroffizier der Alten Garde, welcher einen vollen Beutel mit Goldstücken trug. Ein jeder Offizier erhielt von ersterem 2 Napoleon’d’or und 100 Rubel Assignation, welche einen Wert von 25 Silberrubel hatten. Die Hälfte dieses Geldgeschenks hatte auch ein jeder der blessierten Soldaten erhalten, ich glaube aber nicht, daß mehr als 10 von ihnen einen Genuß davon gehabt haben, und daß die kommandierten Wärter das meiste als Erbe davontrugen. Uns bekam dieseGratifikation übrigens wohl. Lange schon hatten wir keinen Sold bekommen und waren vom Gelde ganz entblößt. Es war aber in Smolensk alles enorm teuer, und man konnte nur von Marketendern etwas

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