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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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haben, da alle Einwohner sich entfernt hatten, die Vorräte aber mitgenommen oder zerstört waren.«
    Die hier von Köhler beschriebene Verehrung, ja Vergöttlichung Napoleons durch seine Soldaten, auch der Schwerverwundeten, wird von fast allen Augenzeugen dieses Feldzugs bestätigt und auch oft genug beschrieben. Ein besonders spektakulärer Vorfall hatte sich zu Beginn des Krieges, am 28. Juni, in Kowno ereignet, den der Trompeter Schehl vom 2. französischen Carabinier-Regiment miterlebte. Auf Befehl Napoleons durchquerte hier eine Eskadron (250 Reiter) des aus Polen bestehenden 1. Garde-Lancier-Regiments die Wilia, die durch die Regenfälle der letzten Tage reißend geworden war. »Die tapfer, glänzend uniformierte und vortrefflich berittene Schar, meist aus polnischen Edelleuten bestehend, avanciert in Ordnung in den Fluß. Als die Pferde keinen Grund mehr finden, fangen sie an zu schwimmen. In der Mitte des durch den furchtbaren Regen sehr angeschwollenen und daher stärker als gewöhnlich strömenden Wassers geraten die Glieder in Unordnung. Die Pferde werden scheu, kommen aus der Richtung und werden, nicht mehr schwimmend, von der Gewalt der Fluten fortgerissen. Die Reiter wehren sich gegen das furchtbare Element, solange sie können, aber leider vergebens. Ihre Kräfte schwinden, und erschöpft sinken sie samt und sonders in ihr nasses Grab. Ihr letzter Ruf ist, unglaublich, aber dennoch wahr: ›Es lebe der Kaiser!‹« Doch ganz so dramatisch, wie ihn mehrere Augenzeugen beschreiben, spielte sich der Unfall wohl nicht ab. Zwar wurden einige Reiter von der Strömung fortgerissen, aber nur einer von ihnen ertrank, die anderen konnten gerettet werden. Verbürgt ist allerdings ihr Ruf Vive l’empereur! »Wer erklärt diese abgöttische Verehrung?« fragt Carl Schehl.
    Napoleon, der schon als junger General in Italien sich denRuf der Unbesiegbarkeit erworben hatte, war auch in den Jahren seiner Alleinherrschaft erfolgreich geblieben und hatte in den Kriegen von 1800, 1805, 1806/07 und 1809 triumphiert, die ihm die Herrschaft über Europa brachten. Seine Erfolglosigkeit in dem nun schon vier Jahre währenden Krieg in Spanien (seit Mai 1808), der 300 000 Soldaten band, wurde in der Öffentlichkeit verschwiegen oder heruntergespielt. Auch als Kaiser vergaß er nie seinen Aufstieg in der Armee, und es trug besonders zu seiner grenzenlosen Popularität bei, ihn immer unter seinen Soldaten zu sehen und auch in den Gefechten und Schlachten keiner Gefahr aus dem Wege zu gehen. Es war vor allem seiner Persönlichkeit und ihrer Ausstrahlung zu danken, wenn er die von Demoralisation und Erschöpfung bedrohte Grande Armée zusammenhielt und erfolgreich diesen Krieg fortzusetzen versuchte.
    Nach ihrer Entlassung aus dem Lazarett beschlossen Leutnant Paul Köhler und die beiden mit ihm verwundeten westphälischen Husarenoffiziere, das teure Smolensk zu verlassen, und zogen mit ihren Pferden und Bedienten in ein kleines Städtchen abseits der großen Heerstraße, das die Russen zu zerstören vergessen hatten und das daher auch noch bewohnt war. »Wir atmeten wieder freier, als wir jenen Totenacker hinter uns hatten, und in kleinen Tagesmärschen von 4–5 Stunden erreichten wir endlich am 4.–5. Tage das heißersehnte Dombrowna, in unserer Lage ein wahres Eldorado.« Die drei bezogen Quartier bei einem Juden, der auch einen Stall für die Pferde besaß. In diesem so wunderbar verschonten Städtchen gab es einen französischen Kommandanten, ein Lazarett (das man aber vermied) und einen französischen Militärarzt, »der uns aufs sorgfältigste behandelte und uns an jedem Morgen besuchte«. Mit Napoleons Dotation ließ sich gut leben, denn Mangel kannte man hier nicht: »Schönes Weißbrot, Tee, Kaffee, Zucker, Rauchtabak, guter Wein und die besten Liköre waren sehr wohlfeil zu haben. Dabei sorgten unsere Burschen für das Einschlachten einiger Schweine, welche im Städtchenund dessen Umgegend ohne weitere Beaufsichtigung wild herumliefen; es wurden Kartoffeln, Reis, getrocknetes Obst herbeigeschafft, und bald war ein ordentlicher Soldatenhaushalt eingerichtet, wobei wir uns nach so langem Entbehren ganz vortrefflich befanden.«
    Doch diese von Köhler beschriebene Friedensidylle war die Ausnahme für Napoleons in Richtung Moskau vorrückende Armee. Dorogobusch, eine Stadt von 8000 Einwohnern, stand in Flammen, als die Grande Armée sie am 25. August erreichte; mit der russischen Armee waren auch die Bewohner abgezogen.

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