Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
Vom Netzwerk:
gemalten Dächern, mit ihren Palästen und niederen Häusern, mit den großen grünen Parks innerhalb der Stadt, die keine Ähnlichkeit mit unseren Städten und einen ganz orientalischen Charakter hat, vor uns ausgebreitet sahen.«
    Nur Napoleon zeigte keine Begeisterung. Zwei Stunden hatte er auf den vor Moskau liegenden Sperlingsbergen gewartet, ob nicht endlich eine Delegation Moskauer Bürger erscheinen werde, ihm die Stadt feierlich zu übergeben. Aber die kam nicht und würde auch nicht kommen. »Da kann er lange warten«, sagte ein polnischer Hauptmann zu Heinrich von Brandt, »der Russe wird lieber nach Sibirien ausreißen als Friede machen.« Nun, wenn schon keine Delegation, dann aber wenigstens ein feierlicher Einzug inmitten seiner Garde,wie etwa 1806 in Berlin? Aber die Generale der Vorausabteilungen warnten: Es gebe in Moskau noch zahlreiche Nachzügler und Teile der Milizen; man könne für die Sicherheit des Kaisers nicht garantieren. Daß ihm dieser triumphale Einzug in die ursprüngliche Hauptstadt des Russischen Reiches, der Höhepunkt und das Ende des Krieges, wie er glaubte, versagt wurde, enttäuschte Napoleon und stimmte ihn nachdenklich.
    Um 14 Uhr marschierten die Regimenter der Weichsel-Legion schließlich in Moskau ein. »Kleine hölzerne, mit Schindeln gedeckte Häuser, die Fensterläden und Türen verschlossen, hier und dort hölzerne Blumenkästen mit türkischer Kresse vor den Fenstern (…), breite ungepflasterte Straßen und nirgend ein Bewohner«, war der erste Eindruck Hauptmann von Brandts: »Ein riesiger Russe, der zweite, den ich in Moskau zu sehen bekam, in seinem propren blauen Kaftan, ziemlich angetrunken, kam aus einem verschlossenen Hause und wollte über die Straße weg in ein anderes treten. Ohne ein Wort zu sagen, schob er die Soldaten, von denen die Straße voll war, auseinander. Da denselben vor dem Einrücken die geschärftesten Befehle erteilt waren, mit den Bewohnern gut umzugehen, so sagten diese nichts – als er aber einen Offizier unsanft berührte, so herrschte ihm dieser ein Schimpfwort entgegen und drohte ihm mit dem Degen, worauf denn auch die Soldaten auf den Trunkenbold losfuhren. Der Russe blieb ganz ruhig, riß sich aber den Kaftan auf, entblößte seine Brust und rief laut: ›Tauche dein kaltes Eisen in diese russische Brust.‹ Dies Benehmen schloß allen den Mund. Der Russe aber ging trotzig weiter, öffnete ein kleines Haus und verriegelte es sorgsam, wie wir dies hören konnten. ›Nun, wenn die Kerle alle so sind‹, sagte ein sächsischer Reiter-Unteroffizier der Truppe, die neben uns hielt, ›dann wird es noch viel zu tun geben.‹«
    Überall standen zurückgelassene Proviantwagen der russischen Armee auf der Straße, beladen mit Mehl, Grütze, Fleisch und Wodka, manche sogar noch mit der vollständigen Pferdebespannung. Beides war hochwillkommen. Dem Maler Adammachte die verlassene Stadt einen ganz unwirklichen Eindruck: »Es klingt vielleicht sonderbar, wenn ich gestehe, daß diese Öde der Stadt mich gar nicht erschütterte, sie überraschte mich nicht, ich hatte nichts anderes erwartet! Als stiller Beobachter folgte ich bis hierher dem merkwürdigen Heereszuge; ich hatte alles, was ich sah und hörte, ernstem Nachdenken unterworfen, oft scheinbar unbedeutende Dinge zusammengestellt, und so kam es, daß ich vieles voraussah, was andern entging oder was sie nicht sehen wollten. Meine Jugend kam mir hierbei gut zustatten; was mir an Erfahrung mangelte, ersetzte eine große lebendige Geistesfrische, ich sah mit unbefangenem Auge und darum helle.«
    Ein seltsames Abenteuer erlebte Major Graf Soltyk: »Ich durchritt zuerst eine ziemlich breite Straße, welche sich durch die Smolensker Vorstadt zieht; ihre Häuser waren zwar von Holz gebaut, aber mit Putz überzogen und gelb angestrichen, was dem Holze den Anschein von Stein gab. Ich fand alle Türen und Fensterläden geschlossen, kein Mensch zeigte sich auf der Straße, alles war öde und schweigend; ich glaubte, die Einwohner hätten sich in die Seitenstraßen geflüchtet, und warf mein Pferd links um eine Ecke, um mich zu überzeugen. Kaum hatte ich einige hundert Schritte getan, als ich mich auf polnisch anrufen hörte: Die Stimme kam aus dem Fenster eines obern Stockwerks. Ich hielt mein Pferd an und erfuhr, daß sich in diesem Hause mehrere Geiseln befänden, reiche Gutsbesitzer aus Weißrußland, welche die Russen mit fortgeschleppt hatten, um sie mit der Armee ins Innere zu führen; sie

Weitere Kostenlose Bücher