Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
günstig, bekomme ich auch angenehme und verläßliche Gesellschaft – so werde ich suchen, mich ruckweise immer mehr und mehr der Heimat zu nähern. Geht dies nicht an, so bleibe ich diesen Winter in Moskau oder Smolensk und reise, sobald die Frühlingswitterung beginnt, nach Berlin, um mir dort ein recht bequemes hölzernes Bein machen zu lassen; denn ich will bei meiner Rückkehr Ihr ohnehin wundes Gefühl nicht noch durch einen ekelhaften Stumpf- oder Stelzfuß aufreizen; und überdies hat mir Köllreutter (sein Regimentsarzt, der ihn amputiert hatte) gesagt, daß ich mir einen Fuß machen lassen kann, den man von einem natürlichen kaum unterscheidet; daß ich dann gar keine Krücke, sondern einen bloßen Stock zum Gehen brauche; daß ich sogar noch ganz gut reiten kann. (…) Wenn ich nun alles zusamnenrechne, so finde ich, daß ich nächsten Frühling, längstens im April oder Mai, wieder bei Ihnen sein kann. Meine Wunde ist alsdann vollkommen geheilt, meine Gesundheit nach allen Teilen gestärkt und hergestellt; ich kann mit Ihnen herumgehen, kleine Spaziergänge machen und jede Freude genießen, die der herrliche, lachende Himmel Württembergs mir darbeut.« Friedrich von Harpprecht, der noch zwei Tage vor seiner schweren Verwundung das Kreuz der Ehrenlegion bekommen hatte, sollte seine Heimat nicht wiedersehen. Am 10. Januar 1813 starb er in einem Lazarett in Wilna am Typhus.
Christian Wilhelm von Faber du Faur: Die Brücke über die Kolotscha bei Borodino, den 17. September 1812. – Zwar wurden während und gleich nach der Schlacht die meisten Leichen von der zerstörten Brücke entfernt, doch noch eine Woche später liegen hier unbestattete französische Soldaten.
9. EINZUG IN MOSKAU
Kutusow hatte am Abend seiner Niederlage noch daran gedacht, die Schlacht am folgenden Tag wiederaufzunehmen, doch die Verluste waren zu groß, und es fehlte überall an Munition. Außerdem wußte er, daß Napoleon seine Garde nicht eingesetzt hatte; einem Angriff dieser Elitetruppe wären die Reste seiner Armee nicht gewachsen. So befahl er den Rückzug aus Moskau, das er nicht würde verteidigen können. Dashinderte ihn aber nicht daran, dem Zaren einen Bericht über einen bei Borodino erfochtenen großen Sieg zu schicken. Alexander, der Moskau gerettet und Napoleon geschlagen wähnte, ließ in St. Petersburg die Siegesnachricht verkünden und in den Kirchen ein Tedeum singen. Kutusow wurde mit Titeln und Rubeln überschüttet, und die russische Residenz war außer sich vor Glück. Als schon wenige Tage später die schwere Niederlage und die Räumung Moskaus bekannt wurde, war das Entsetzen groß. Der Zar hat seinem Marschall diese dreiste Lüge nie verziehen.
In der Nacht vom 7. zum 8. September räumten die letzten Russen in guter Ordnung das Schlachtfeld und ließen von ihren mitgeführten Verwundeten 10 000 zurück, was einem Todesurteil gleichkam, denn Napoleons Sanitätswesen war schon mit der Versorgung der eigenen Verwundeten überfordert; es gab für sie nicht einmal Verpflegung. Das Städtchen Moshaisk wurde am 9. September von den Russen verlassen und wie üblich angezündet. Den Soldaten der Grande Armée gelang es zwar, das dortige Verpflegungsmagazin unversehrt zu erhalten, sie konnten aber sonst nur wenig löschen. Nicht mehr zu retten waren die vielen Verwundeten der russischen Armee, die – von ihren eigenen Kameraden gnadenlos geopfert – in den Häusern verbrannten.
Moskau ließ sich nicht verteidigen. Die russische Armee bestand nur noch aus etwa 50 000 Soldaten und war nicht mehr kampffähig. Verbitterung und Wut spricht aus den Sätzen, die Leutnant Boris Uxkull in sein Tagebuch schreibt: »Wir sind gelaufen wie die Irrsinnigen, mal nach rechts, mal nach links. Jetzt endlich sind wir vor den Mauern Moskaus. Hier liegt sie, diese herrliche Stadt, diese Mutter des Vaterlandes, die frühere Residenz des Zaren und der Großfürsten Rußlands. Welch Gefühl des Schmerzes, der Wut, Moskau in Napoleons Gewalt zu wissen. Tränen treten aus meinen Augen. – Ich werde diese traurige Stadt besuchen, die bald ein Raub der Flammen werden wird. Sie triumphieren, diese Hunde vonFranzosen. Welche Feuer brennen sie in ihren Biwaks. Aus ihren Lagern hört man Freudenrufe und Jubel. Aber Geduld! Wir werden sehen, wer die Zeche bezahlen wird.«
Moskau mußte preisgegeben werden. Kutusow überzeugte seine Generale, daß sich keine andere Entscheidung treffen lasse, und er besprach mit dem Gouverneur von
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