Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
bestürzt waren, daß sie vom Balkon hinabsprangen. Der eine brach sich das Genick, der andere beide Beine. Einen dritten fanden wir unter seinem Bett. Wir taten ihm nichts, denn wir wollten ihn als Führer behalten. Er war, wie die andern alle, ein Sträfling und sah ebenso abschreckend und unheimlich aus wie jene.
Als wir jetzt wieder ins Freie traten, um zum Regiment nach dem Gouvernementsplatz zurückzukehren, waren wir nicht wenig überrascht, den Weg versperrt zu finden. Das Feuer hatte inzwischen durch den heftigen Wind eine solche Ausdehnung gewonnen, daß die Flammen sich über der Straße kreuzten; schon stürzten die Dächer zusammen. Wir mußten eine andere Richtung einschlagen und wählten die, von welcher aus auf unserm Herweg die zweiten Schüsse gefallen waren. Mit unserm Gefangenen, der mehr einem Bären als einem Menschen glich, vermochten wir uns in keiner Weise verständlich zu machen.
Nach einer Weile kamen wir an das Haus, von welchem wir vermuteten, daß es dasjenige sei, aus dem der Schuß gekommen war, der unsern Kameraden verwundete. Da packte uns die Neugierde, auch hier noch einmal näher zuzusehen. Wir ließen unsern Gefangenen zuerst eintreten und folgten dicht hinter ihm. Sogleich erschallte ein Warnungsruf, und mehrere Männer mit brennenden Fackeln flohen über einen großen Hof. Wir waren, wie wir nun sahen, in kein gewöhnlichesHaus gekommen, sondern in einen Palast. (…) Etwa eine Stunde hatten wir uns in den mit fremdartigem Luxus ausgestatteten Räumen aufgehalten, als wir plötzlich durch einen furchtbaren Knall unter uns erschreckt wurden. Die Erschütterung war so stark, daß wir in größter Hast das Freie suchten, um nicht unter den Trümmern des Hauses begraben zu werden. Nachdem wieder alles still geworden war, trieb es uns doch, zu sehen, was uns so erschreckt hatte. Die Untersuchung führte uns in einen großen Speisesaal, in welchem die Decke samt einem großen Kristallkronleuchter herabgestürzt war, dessen Splitter nebst vielen andern Dingen überall umherlagen. Das Unglück war durch Granaten verursacht worden, die man jedenfalls absichtlich in einen großen Kachelofen gelegt hatte. Die Russen scheuten eben kein Mittel, uns zu vernichten.
Während wir hierüber noch unsere Bemerkungen austauschten, hörten wir die Schildwachen draußen auf einmal ›Feuer!‹ schreien. Als wir infolgedessen eiligst hinausliefen, sahen wir an mehreren Stellen dicken Rauch aus dem Hause aufsteigen, und wenige Augenblicke danach stand das ganze Haus in Flammen.
Nach manchen Umwegen kamen wir in eine breite, lange Straße, die auf beiden Seiten mit prachtvollen Bauwerken besetzt war. Wir hofften, auf ihr zu unserem Ausgangspunkt zurückzugelangen, denn von Führung seitens unseres Gefangenen war keine Rede. Er war zu weiter nichts nütze, als ab und zu unsern Verwundeten zu tragen, dem allmählich das Gehen schwer wurde. Auf unserem Wege begegneten wir mehreren langbärtigen Gestalten, die im Schein der brennenden Fackeln, die sie trugen, noch unheimlicher aussahen. Da wir bis jetzt von den Plänen, die diese Männer verfolgten, noch nichts wußten, ließen wir sie ruhig ziehen. Bald hierauf erfuhren wir von einer uns begegnenden Patrouille, daß die Leute mit den Fackeln von den Russen gedungen wären, das Feuer anzulegen. Kurze Zeit darauf hatten wir Gelegenheit,dies selbst zu beobachten. Wir überraschten drei Kerle, welche im Begriff standen, eine Kirche anzustecken. Zwei liefen davon, der dritte aber versuchte, trotz unserer Annäherung, sein Werk auszuführen. Erst ein Kolbenschlag auf den Hinterkopf machte seiner Hartnäckigkeit ein Ende.«
Da die meisten Bauten aus Holz waren, breitete sich das Feuer rasend schnell aus und stürzte die Stadt, ihre noch verbliebenen Bewohner und Besatzer in ein ungeheures Chaos, so wie es Graf Rostoptschin geplant hatte. Der Brand trieb auch russische Soldaten, die sich versteckt hatten, aus den Häusern, die man daraufhin gefangennahm. Allein die russischen Schwerverwundeten konnten nicht fliehen. 6000 kamen jämmerlich in den Lazaretten um, die von den eigenen Landsleuten angezündet worden waren. »Das schrecklichste Schauspiel von allen, welches die Zerstörung Moskaus darbot, war der Brand der russischen Spitäler, in welchen nur die Schwerverwundeten zurückgeblieben waren«, schreibt Leutnant Karl von Kurz. »Kaum hatten die Flammen die Gebäude ergriffen, in denen sie sich befanden, so schleppten sie sich nach den Treppen oder
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