Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Hauptquartier bestimmt. Daß Moskau brannte, traf den Kaiser tief. »Diese Eroberung, für die er alles aufgeopfert hatte, glich einem Luftgebilde, welches er nach langer Verfolgung endlich zu erhaschen meinte und das nun vor seinen Augen unter Rauchwolken und Feuersäulen in dem Dunstkreis zerfloß«, beobachtete sein Ordonnanzoffizier, General de Ségur. »Jetzt ergriff ihn eine heftige Gemütsbewegung; es war, als verzehre auch ihn das Feuer, welchesihn umgab; denn bald stand er auf und ging schnell auf und ab; bald warf er sich wieder ungestüm auf einen Sessel nieder; dann schritt er eilig in mehreren Gemächern herum, durch hastige Gebärden die innere Qual verratend, setzte sich an ein dringendes Geschäft, ließ es liegen, nahm es von neuem zur Hand und warf es wieder von sich, um an ein Fenster zu stürzen und die Fortschritte des Brandes zu beschauen. Hier entwanden sich der beklommenen Brust dann kurze ungestüme Ausrufungen: ›Ha, welch schreckliches Schauspiel! – Sie selbst haben’s getan! – So viele Paläste! – Welch außerordentlicher Entschluß! – Welche Menschen! – Wahre Skythen!‹«
Seine Umgebung bestürmte den Kaiser, den Kreml zu verlassen. Denn immer wieder war im engeren Bezirk plötzlich Feuer ausgebrochen, bis man endlich einen russischen Polizisten der Brandstiftung überführen konnte, der gestand, er habe das Feuer »auf ein von seinem Chef gegebenes Signal« entzündet. Grenadiere der Garde brachten ihn in einen Hof, wo sie ihn mit zahlreichen Bajonettstichen töten. Da sich das Feuer immer mehr dem Kreml näherte und ihn einzuschließen drohte, willigte Napoleon schließlich am 17. September ein, den gefährdeten Komplex zu verlassen. Der französische Kaiser wählte nun als Zuflucht das vor Moskau gelegene Schloß Petrowski. Es wäre fast zu spät gewesen.
»Wir sahen uns von einem Flammenmeer umlagert«, schreibt Ségur, »es umflutete alle Tore der Festung und machte die ersten Ausgangsversuche unmöglich. Nachdem man eine Zeitlang herumgetappt war, entdeckte man endlich einen mitten durch die Felsen führenden Ausfall, der auf die Moskwa ging. Auf diesem engen Pfade entkamen Napoleon, seine Offiziere und seine Garde aus dem Kreml. Allein, was hatten sie dabei gewonnen? Dem Brande näher, konnten sie weder sich zurückziehen noch bleiben; und wie sollte man vorwärts gehen, wie sich mitten in die Wogen dieses Feuermeeres stürzen? Diejenigen, welche die Stadt durchzogen hatten, konnten, betäubt von dem Sturm, erblindet von der Asche, sichnicht mehr zurechtfinden, da die Spur der Straßen in dickem Rauch und unter mächtigen Trümmern verschwand.
Doch jeder Verzug konnte verderblich werden. Das Toben der Flammen rings um uns nahm mit jedem Augenblick zu. Eine einzige enge und krumme Straße, die ganz in Feuer stand, bot sich uns dar, stellte aber eher den Eingang in die Hölle als ihren Ausgang vor. Zu Fuß und ohne lange sich zu besinnen, schlug der Kaiser diesen gefährlichen Pfad ein und schritt durch das Geprassel dieser furchtbaren Glut, mitten unter dem Krachen berstender Gewölbe, dem Fall flammender Gebälke und dem Einsturz glühender Eisendächer. Diese Trümmer hemmten seine Schritte. Die Flammen, welche mit gewaltigem Knistern die Gebäude verzehrten, zwischen denen er ging, überragten nun die Gipfel derselben und schlugen, unter dem Druck des Windes sich beugend, über unseren Häuptern zischend zusammen. Wir wandelten auf einem glühenden Boden unter einer prasselnden Flammendecke, zwischen feuersprühenden Mauern. Die durchdringende Hitze versengte uns die Augen, und doch mußten wir sie offenhalten, um auf die Gefahr unsere Blicke zu richten. Verzehrende Glutluft, mit Funken gepaarte Asche und leckende Flammenzungen erschwerten unsern kurzen, trockenen, keuchenden, schon von Rauch fast erstickten Atem. Unsere Hände verbrannten, indem wir das Gesicht vor der unerträglichen Hitze zu schützen suchten und die züngelnden Flammen abwehrten, welche jeden Augenblick unsere Kleider ergriffen und in Asche zu verwandeln drohten.
In dieser unbeschreiblichen Not, wo rasche Flucht als das einzige Rettungsmittel uns erschien, machte unser bestürzter und unzuverlässiger Führer plötzlich halt. Hier würde unser abenteuerliches Leben vielleicht sein Ziel gefunden haben, wenn nicht Plünderer des 1. Korps den Kaiser mitten in diesen Flammenwolken erkannt hätten; sie eilten herbei und geleiteten ihn zu den rauchenden Trümmern eines seit dem Morgen schon in
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