Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
Vom Netzwerk:
Asche gelegten Stadtviertels.«
    In diesem Flammeninferno enteckte der bei Borodin verwundete Marschall Davout seinen Kaiser, stürzte auf ihn zu und schloß ihn in seine Arme, eine höchst ungewöhnliche Geste bei diesem so harten und distanzierten Mann, der sonst jede Emotion unterdrückte. Napoleon, obwohl unmittelbar vom Tod bedroht, zeigte indes keine Gefühle, sondern den »Ausdruck jener ruhigen Besonnenheit, die niemals während der Gefahr ihn verließ«. In einem Konvoi von Munitionswagen, die jederzeit explodieren konnten durch das um sie wabernde Feuer, gelangte er bei Anbruch der Dunkelheit im Schloß von Petrowski an.
    Augenzeuge des Infernos war auch Stendhal, der von der Heeresverwaltung aus seine Erlebnisse in einem ausführlichen Brief an seine Schwester Pauline schildert. Dieser Brief interessiert weniger durch die darin mitgeteilten Fakten, die uns auch die Briefe und Tagebücher der Soldaten überliefern; er ist darum so ergreifend, weil sich in ihm die verletzte Sensibilität des künftigen Dichters kundtut, der inmitten der Unmenschlichkeit verzweifelt Schutz in der Dichtung sucht, abgestoßen von der »allgemeinen Verrohung«; der sich hinter der Maske des kalten Hochmuts und der Arroganz bergen muß, um angesichts dieses Zusammenbruchs von Kultur seelisch zu überdauern. Am 4. Oktober schreibt er:
    »Das Feuer näherte sich rasch dem Haus, das wir verlassen hatten. Unsere Wagen blieben fünf oder sechs Stunden auf diesem Boulevard. Von dieser Untätigkeit gelangweilt, ging ich das Feuer anschauen und blieb ein oder zwei Stunden bei Joinville (Kriegskommissar) . Ich war voller Bewunderung für das Wohlgefühl, das die Ausstattung seines Hauses in mir hervorrief; mit Biller und Busche tranken wir dort drei Flaschen Wein, die uns wieder zum Leben erweckten.
    Ich las dort einige Zeilen einer englischen Übersetzung von Virginie (Paul et Virginie, 1788 erschienener vielgelesener Roman von Jacques-Bernardin-Henri Saint-Pierre) , die inmitten der allgemeinen Verrohung meinen Geist ein wenig aufleben ließ.
    Mit Louis Joinville ging ich mir das Feuer ansehen. Wir sahen, wie ein betrunkener Kanonier von der berittenen Artillerie einen Gardeoffizier mit dem flachen Säbel schlug und ihn anpöbelte. Er war im Unrecht und schließlich gezwungen, sich bei ihm zu entschuldigen. Einer seiner plündernden Kameraden lief in eine brennende Straße, in der er vermutlich geröstet wurde. Ich erlebte hier erneut, wie wenig Charakter die Franzosen im allgemeinen haben. Anstatt diesem ganzen Durcheinander mit der gebührenden Verachtung zu begegnen, kam es Louis in den Sinn, diesen Mann zugunsten eines Gardeoffiziers zu besänftigen, der ihm selbst beim nächstbesten Streit Ärger bereitet hätte. Er setzte sich der Gefahr aus, selbst angepöbelt zu werden. Ich bewunderte meinerseits die Geduld des Gardeoffiziers; ich hätte dem Kanonier mit meinem Säbel eins auf die Nase gegeben, was zu einer Affaire vor dem Oberst hätte führen können. Der Offizier handelte klüger.
    Um drei Uhr kehrte ich zu unserer Wagenkolonne und den trübsinnigen Kollegen zurück. In den umliegenden Holzhäusern hatte man ein Mehl- und ein Haferlager entdeckt; ich trug meinen Dienern auf, davon zu holen. Sie zeigten sich sehr emsig, sahen so aus, als würden sie viel bringen, und brachten fast nichts. So machen sie es alle und überall in der Armee; das ist einer der Gründe für meinen Unmut. Man kann sich zwar vornehmen, darauf zu pfeifen, da sie aber immer jammern, ärgert man sich am Ende doch, und ich verbringe unglückliche Tage in der Armee. (…)
    Wir sahen Monsieur Daru (den Generalintendanten Graf Daru) und den liebenswerten Marigner vom Kreml herkommen; wir führten sie zum Palais Soltykow, das vom Keller bis zum Dach besichtigt wurde. Da Monsieur Daru am Hause Soltykow einiges zu bemängeln hatte, forderten wir ihn auf, sich weitere in der Nähe des Klubs anzusehen. Der im französischen Stil ausgestattete Klub war majestätisch, aber geschlossen. In Paris gibt es in dieser Art nichts Vergleichbares. Nachdem Klub sahen wir uns das geräumige und prächtige Nachbarhaus an; schließlich ein hübsches weißes, quadratisches Haus, das zu besetzen wir beschlossen.
    Wir waren sehr müde, ich mehr als alle anderen. Seit Smolensk fühle ich mich völlig entkräftet, und da war ich so kindisch, bei dieser Suche nach Häusern soviel Interesse und Laufereien aufzuwenden. Interesse ist zuviel gesagt, aber viel Laufereien.
    Wir richteten

Weitere Kostenlose Bücher