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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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stürzten sich, unter dem Rufe der Verzweiflung, aus den Fenstern; verstümmelt und halb verbrannt wurden sie mit jedem Schritt wieder von den Flammen erreicht. Diese Unglücklichen verlängerten dadurch ihr Leben nur wenige Augenblicke und gingen entweder von dem einstürzenden Gebälke oder in dem Feuer aus Mangel an Hilfe zugrunde.« Auch wenn vereinzelt französische Verwundete den Tod in den Flammen fanden, so war insgesamt doch weit besser für sie gesorgt. Jean-Dominique Larrey, Napoleons Chefchirurg, hatte sie im Hospital der Findelkinder und in dem Galitzinschen Hospital untergebracht, wo auch Russen lagen. Larrey organisierte in gewohnter Tatkraft die Versorgung mit Lebensmitteln und was er sonst noch brauchte, und da beide Gebäude aus Stein errichtet waren, ließen sie sich auch leichter vor dem Feuer schützen, so daß sie unzerstört blieben. Und es war für den noblen Larrey selbstverständlich,die russischen Verwundeten genauso zu versorgen und zu betreuen wie die eigenen.
    Auf Befehl Napoleons ging die Armee unverzüglich daran, die Brandstifter zu jagen. Allein 400 wurden in den ersten Tagen gefaßt und sofort erschossen oder mit dem Bajonett erstochen. Doch ihr Tun hatte die Disziplin der Grande Armée nachhaltig untergraben. Zwar hatte der Kaiser schon beim Einzug in Moskau Marschall Edouard Mortier beauftragt, auf strengste Disziplin zu achten und Plünderungen nicht zu dulden. Dieser Befehl ließ sich aber nur am Tag des Einzugs befolgen, denn als nun das Feuer schon am ersten Abend ausbrach und am folgenden Tag die ganze Stadt erfaßte, gab es für die Soldaten kein Halten mehr. Wenn schon alles niederbrannte, dann wollte sich jeder noch die Taschen füllen. Denn bei der überstürzten Räumung der Stadt war es nicht möglich gewesen, das Hab und Gut vollständig in Sicherheit zu bringen, auch lagerten in den Kellern noch immense Vorräte, wie sich bald herausstellte.
    Viele tausend Soldaten fielen jetzt über die Häuser her und nahmen keine Rücksicht auf die etwa 14 000 Einwohner, die geblieben waren. Sie wurden ausgeraubt und mißhandelt und ihre Frauen und Töchter Opfer von Massenvergewaltigungen der schlimmsten Art. Allerdings überlebten viele dieser Marodeure ihre Taten nicht: Da sie nahezu alle alkoholisiert waren und besessen von der Sucht nach Beute, blieben sie zu lange in den Häusern oder zechten in den Kellern, bis sie der Rauch erstickte und sie unter den brennenden Trümmern der einstürzenden Häuser begraben wurden. Andere wurden in den Straßen von herabfallenden glühenden Kupferplatten der Dächer erschlagen. Monate später, als die Truppen Napoleons längst abgezogen waren, hat man in Moskau die Überreste von 12 000 verkohlten Leichen geborgen; wer diese Menschen waren, weiß man nicht. Die Soldaten, die im Feuerchaos zu Verbrechern wurden, entstammten vielen Nationen der Grande Armée, und man beschuldigte danach die jeweilsanderen, verantwortlich für die verübten Greueltaten zu sein. Das Feuer vernichtete aber auch alle in Moskau eingelagerten Ausrüstungsgegenstände der russischen Armee, darunter 70 000 Gewehre, von denen die Hälfte hier repariert werden sollte. Allein der Wert der zerstörten militärischen Ausrüstung betrug fünf Millionen Rubel. Den in Moskau stationierten Soldaten fehlte es an nichts, nur Brot vermißten sie, und da die vielfach unzerstört gebliebenen Keller unermeßliche Vorräte bargen, so entwickelte sich rasch ein florierender Handel mit Beutegut.
    Beglückt berichtet der Carabinier-Trompeter Schehl von seinen Funden: »In wenigen Stunden standen und lagen in unseren Biwaks Lebensmittel und prachtvolles Mobiliar sowie Waren aller Art, als da sind: Kaffee, Tee, Massen von weißem Hutzucker, ganze Fässer des köstlichsten roten Weines, große Säcke voll des feinsten Weizenmehls, Schinken, Speckseiten, Hühner, welsche Hahnen usw.; Sofas mit schweren seidenen Überzügen, desgleichen gepolsterte Sessel, die schönsten Federbetten, reiche Kleiderstoffe der verschiedensten Art, große Spiegel in Goldrahmen, sogar ein wertvoller Wiener Flügel – ein wundervolles Instrument –, nur an Brot hatten wir schon wieder Mangel und mußten uns in Töpfen und in der Asche, so gut es gehen wollte, Brotersatz backen. Der Holzvorrat ging auch zur Neige, und da wurden die kostbaren Möbel teils zerbrochen, teils mit der Axt zerschlagen und ins Feuer geworfen.«
    Napoleon, der am 15. September in den Kreml eingezogen war, hatte ihn zu seinem

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