Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
uns schließlich in diesem Haus ein, das anscheinend von einem reichen kunstliebenden Mann bewohnt gewesen war. Es war zweckmäßig aufgeteilt, voller kleiner Statuen und Gemälde. Schöne Bücher waren da, insbesondere Buffon, Voltaire, den man hier überall findet, und Die Galerie des Palais-Royal (wohl die 1633 erschienene Komödie »La Galerie du Palais ou l’Amie rivale« von Pierre Corneille).
Der heftige Durchfall ließ alle befürchten, es könnte an Wein fehlen. Man sagte uns, wir könnten welchen im Keller des schönen Klubs holen, von dem ich erzählte. Ich bestimmte Vater Billet dazu. Wir drangen dort ein durch einen prächtigen Stall und einen Garten, der schön gewesen wäre, würden die Bäume dieses Landes auf mich nicht den unauslöschlichen Eindruck von Armseligkeit machen. (…) Mein Diener war volltrunken; er stopfte die Tischdecken, Wein, eine Geige, die er für sich geplündert hatte, und tausend andere Dinge in den Wagen. Mit zwei oder drei Kollegen hatten wir ein kleines Weinessen.
Die Diener richteten das Haus her, das Feuer war weit von uns entfernt und erfüllte die ganze Atmosphäre bis in große Höhen mit kupferfarbenem Rauch; wir richteten uns ein und wollten uns endlich ausruhen, als Monsieur Z. hereinkam und uns eröffnete, daß wir aufbrechen müßten. Ich nahm die Sache tapfer auf, war aber nahezu handlungsunfähig.
Mein Wagen war randvoll, ich setzte den armen Scheißer und Langweiler von Bonnaire hinein, den ich aus Mitleid aufgenommen hatte, um einem anderen die gute Tat von Biliottiheimzuzahlen. Es ist das dümmste und langweiligste verwöhnte Kind, das ich kenne.
Bevor ich das Haus verließ, raubte ich einen Band von Voltaire mit dem Titel Facéties .
Die Wagen ließen auf sich warten. Wir setzten uns erst gegen sieben Uhr in Bewegung. Wir trafen den aufgebrachten Monsieur Z. Wir fuhren direkt auf das Feuer zu, einen Teil des Boulevards entlang. Allmählich kamen wir in den Rauch hinein, das Atmen wurde schwer, schließlich fuhren wir zwischen brennenden Häusern hindurch. Gefährlich sind alle unsere Unternehmen nur wegen des vollständigen Mangels an Ordnung und Vorsicht. Hier stürzte sich ein langer Zug von Wagen in die Flammen, um ihnen zu entgehen. Dieses Manöver hätte nur dann einen Sinn gehabt, wenn es ein von einem Feuerring eingeschlossener Stadtkern gewesen wäre. Das war aber hier überhaupt nicht der Fall; das Feuer beherrschte die eine Seite der Stadt, man mußte hinaus; aber dazu war es nicht nötig, das Feuer zu durchqueren; man hätte es umgehen müssen.
Wir kamen nicht mehr weiter; man ließ umkehren. Da ich an das große Schauspiel dachte, das ich sah, vergaß ich einen Augenblick, daß ich meinen Wagen vor den anderen hatte wenden lassen. Ich war übermüdet, ich ging zu Fuß, weil mein Wagen vollbeladen war mit den geplünderten Sachen meiner Diener und weil der Scheißer obendrauf saß. Ich glaubte, mein Wagen hätte sich im Feuer verfahren. François war an der Spitze einige Zeit im Galopp gefahren. Der Wagen wäre nicht in Gefahr gewesen, aber meine Leute, wie die der anderen auch, waren betrunken und brächten es durchaus fertig, mitten in einer brennenden Stadt einzuschlafen.
Auf der Rückfahrt begegneten unsere Herren auf dem Boulevard dem General Kirgener, über den ich mich an diesem Tag sehr gefreut hatte. Er rief sie zu neuem Mut auf, das heißt zur Vernunft, und zeigte ihnen drei oder vier Wege, um herauszukommen.
Christian Wilhelm von Faber du Faur: Moskau, den 24. September 1812. – Einwohner Moskaus (links) und plündernde französische Infanterie (rechts) in den Ruinen der Stadt. In der Mitte ein vom Dach herabgestürztes Blechzelt.
Gegen elf Uhr schlugen wir einen davon ein, kreuzten einen Zug und stritten uns mit den Fuhrleuten des Königs von Neapel (Joachim Murat) . Wir kamen an einem sehr schönen Haus vorbei, das noch im Bau war. Dann bemerkte ich, daß wir die Twerskaja entlangfuhren. Wir verließen eilig die Stadt, die erleuchtet war von dem schönsten Brand der Welt, er bildete eine riesige Pyramide, die wie die Gebete der Gläubigen mit ihrer Basis auf der Erde stand und deren Spitze in den Himmel ragte. Über dem Feuer ging, glaube ich, der Mond auf. Es war ein großes Schauspiel, man hätte aber allein sein müssen, um es zu betrachten, oder in der Gesellschaft von Menschen mit Geist. Was mir den Rußlandfeldzug verdorben hat, ist, daß ich ihn mit Leuten gemacht habe, die das Colosseum und das Meer von Neapel
Weitere Kostenlose Bücher