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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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bei ihrem raschen Abzug nicht mehr verbrannt worden waren. Für die Sicherheit des okkupierten Moskau galten diese Dörfer als unverzichtbar, zumal sie als Ausgangspunkt jener kleinen Trupps dienten, die nach Lebensmitteln und Futter für die Pferde suchten. Besonders daran mangelte es empfindlich. Viele Kavalleristen ritten inzwischen die Konis genannten kleinen russischen Landpferde, aber sie waren nur zur Fortbewegung und als Zugtiere für leichtere Wagen geeignet; weder konnten sie die schweren Kanonen ziehen, noch ließ sich auf ihnen eine Attacke reiten, weswegen ein großer Teil der Reiterei inzwischen zu Fuß gehen mußte. Aber das Fouragieren war schon immer ein gefährliches Geschäft und im Umkreis von Moskau noch weitaus riskanter geworden. Denn die Mentalität der Russen hatte sich sehr verändert.
    Die Trauer um ihr Mütterchen Moskau, die heilige Stadt, war unbeschreiblich, so charakterisiert Major Woldemar von Löwenstern die Empfindungen seiner Landsleute: »Der Feind hatte gewähnt, Moskaus Besitznahme würde Schrecken, Entmutigung, Wunsch nach Ausgleichung und infolge dessen einen für ihn glorreichen Frieden herbeiführen; gerade das Gegenteil, wie es im Leben mit den sichersten Erwartungen immer geschieht, trat ein; und wer damals den Marsch im Umkreise um die brennende Stadt, deren Flammen den nächtlichen Himmel weithin aufhellten, mitgemacht, wird sich erinnern, welche Gefühle jenes Heer trotziger, ergrimmter Männer beseelten. Statt auf Unterwerfung sannen die Russen auf Mittel der Vergeltung und Rache; statt Entmutigungsah man Aufschwung, Begeisterung; Begeisterung für die Sache des Vaterlandes, Begeisterung, alle Opfer zu bringen, selbst die höchsten, um die Schmach zu tilgen und der Nationalehre, durch Regenten wie Peter und Katharina, durch Feldherren wie Rumanzow und Suworow aufs höchste gesteigert, genugzutun.
    Das erste dieser Opfer war die herrlich prangende, hochund vieltürmige Moskwa, Moskwa die weißummauerte, Moskwa die Mutter der russischen Städte, gewesen; hinfort, nachdem dieses schwere gebracht, schienen alle andern leicht. Jetzt kam ein anderer Geist über Heer und Volk, ein ernster, düstrer, Sühnung fordernder. Zugleich fand man sich in der Verteidigung weniger gebunden; als noch eine Hauptrücksicht auf Moskau zu nehmen war, fühlte man sich in den Operationen wie gelähmt; einmal gefallen, hatte man nicht weiter daran zu denken, eine Stadt, sondern das Reich zu retten, und von dem Augenblick an sagte sich jeder: jetzt beginnt für uns der Krieg erst recht! Alsofort kam eine neue Tätigkeit in alle Maßregeln der Behörden, der Regierung, in das Volk: Alles wollte dazu beitragen, den Boden des Vaterlandes recht bald vom Feinde zu säubern, der, nebst den patriotischen auch alle religiösen Gefühle verletzte, die Kirchen plünderte und sie in Ställe verwandelte, das Kirchensilber in Barren einschmolz; die Bilder der Heiligen ihres Schmucks entkleidete und als Bretter, als Tische und sonstiges niederes Gerät gebrauchte, kurz der Russen religiöses Gefühl auf alle Art höhnte und beleidigte. Grimm und Haß gegen die Tempelschänder verbreitete sich durch Erzählung ihrer wirklichen und angeblichen Untaten immer weiter und entflammte das Volk zur blutigsten Rache. Wehe dem Unglücklichen, der in die Hände der Erbitterten fiel!«
    Ähnlich sah es Friedrich von Schubert, der damals als Generalsstabsoffizier von General von Korff in der 1. West-Armee diente und es später noch zum General bringen sollte: »Unsere Armee war etwa 30 Werst von Moskau entfernt, als derBrand anfing, der bald so kolossale Dimensionen annahm, daß man die Flamme sehen konnte und der ganze westliche Horizont ein Feuermeer schien. Die Stimmung, seit wir Moskau verlassen hatten, war bei uns eine sehr traurige, gedrückte gewesen, obwohl Kutusow in allen seinen Proklamationen und Tagesbefehlen beständig wiederholte, nichts sei verloren. Moskau sei nicht Rußland. Jetzt änderte sich die Stimmung, und an die Stelle der Niedergeschlagenheit traten Wut und der Durst nach Rache, denn niemand zweifelte daran, daß die Franzosen es absichtlich angezündet hatten. Ich glaube nicht, daß in der ganzen Armee vom ersten General bis zum letzten Soldaten ein einziges Wesen war, welches nicht bei dem Anblick der lodernden Stadt Tränen vergossen hätte. Moskau war ja der Stolz Rußlands, sein Palladium, an das sich Tausende von teuren Reminiszenzen knüpften; jeder Russe liebte es wie etwas, das ihm selbst

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