Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
Vom Netzwerk:
sein, aber so ganz ließen sich Gespräche zwischen den Vorposten beider Seiten nicht unterdrücken. Kämpfe fanden hier selten statt, und Murat redete sich ein, man stünde kurz vor einem Friedensgespräch und paßte nicht auf. So hatten es sich die Russen gewünscht,und am 6. Oktober überfielen sie Murat bei Winkowo mit weitüberlegenen Kräften und warfen ihn zurück.
    Ein anderer Außenposten war Moshaisk nahe Borodino. Hier standen 10 000 Westphalen und Württemberger. Ihre Aufgabe bestand darin, das Schlachtfeld vom 7. September aufzuräumen, die in mehreren Lazaretten untergebrachten Verwundeten zu versorgen, Nahrungsmittel zu beschaffen und die Straße von Smolensk nach Moskau zu sichern. Eine Säuberung des Schlachtfelds bestand vornehmlich im Ausheben von Massengräbern, um die Tausenden von Toten und die zahlreichen Pferdekadaver zu bestatten. Die Soldaten mußten immer wieder nach kurzer Zeit abgelöst werden, weil der Verwesungsgestank unerträglich war und der Anblick der oft schrecklich verstümmelten und entstellten Leichen die Männer belastete. Andere Einheiten bauten in den Dörfern der näheren Umgegend die verbliebenen Häuser zu Stützpunkten aus, um gegen eventuelle russische Überfälle gesichert zu sein und von hier aus auch zum Fouragieren aufzubrechen.
    Die Säuberung des Schlachtfelds war ein selbstverständlicher Brauch in Napoleons Armee. Normalerweise wurden auch Uniformen gesammelt: Die Toten kamen in Massengräber, ihre Uniformen von zahlreichen Wäscherinnen in großen Kesseln ausgekocht und, sofern noch möglich, geflickt, um dann sauber gewaschen, gestopft und gebügelt an neue Truppen ausgegeben zu werden. Eingesammelt wurden zudem auch Kanonenkugeln, Ausrüstungsgegenstände aller Art wie Helme, Waffen, Brustpanzer, Patronentaschen, Tornister. Es war – modern gesprochen – eine Form von Recycling, bei der gelegentlich auch eine Belohnung winkte, denn bei manchen Toten, zumal den Offizieren, fand sich Geld oder eine goldene Taschenuhr. Der westphälische Oberstleutnant von Conrady entdeckte in den Packtaschen eines russischen Kürassierpferds »eine Flasche sehr guten Likör und mehrere Brote sowie auch einen Sack mit Reis«. Und er setzt hinzu:»Nur wer wie wir sich tagelang von gebratenem, halbverkohltem Pferdefleisch genährt hat, kann empfinden, wie ich mich über den Fund freute.«
    Für die lebenden Pferde Futter zu bekommen war eine fast unlösbare Aufgabe. Leutnant von Suckow mußte hilflos zusehen, wie ihm sein Pferd verhungerte. Er hatte die schwierige Aufgabe bekommen, die halbzerstörten Dörfer in der Nähe des Schlachtfelds zu reparieren: »Keine Türe im Orte war mehr ganz, die Hütten ihres schützenden Strohdaches teilweise beraubt, kein lebendiges Wesen in ihrem Innern bergend. Fenster konnte man nicht zerschlagen haben, denn es existierte im ganzen Dorfe deren kein einziges, und als Surrogat derselben diente jener in den russischen Dörfern gebräuchliche hölzerne Schieber, der geöffnet jedem Luftzuge das Eindringen gestattet und geschlossen das Gemach derart verfinstert, daß man ohne verbundene Augen Blindekuh darin spielen kann. Und in diesen Ruinen sollten die in der Schlacht verwundeten Württemberger, ungefähr 500 Unteroffiziere und Soldaten und 40 Offiziere, ein Asyl finden, um wenigstens der Mehrzahl nach ihrer Heilung mit Ruhe entgegensehen zu können!«
    Nachdem die erforderlichen Reparaturen von den Regimentszimmerleuten, Sapeure genannt, so gut es gehen wollte, ausgeführt worden waren, rückte Leutnant von Suckow mit mehreren Wagen und einer starken Truppe aus, um Lebensmittel aufzutreiben, wobei er das unverhoffte Glück hatte, auf ein gänzlich unversehrtes Schloß zu stoßen: »Es war ein stattliches Gebäude, dieses Schloss, und mit allem Komfort ausgestattet; seine Bewohner aber waren sämtlich geflohen, was sichtlich in Eile und vielleicht erst vor wenigen Stunden, auf die Nachricht von unserer unliebsamen Annäherung, geschehen sein durfte. In einem der elegant möblierten Zimmer sah man ein schönes Fortepiano noch aufgedeckt und ein Notenblatt darauf vorgelegt. Wo weilte wohl jetzt die Dame, welche vielleicht erst vor kurzem demselben die süßesten Melodienentlockt hatte? Harrte sie vielleicht im Wald unseres Abmarsches von ihrem schönen Besitztum? Aber weder mit Notenblättern noch mit Fortepianos war uns gedient; unsere Rekognoszierung der Örtlichkeiten hatte eine etwas prosaischere Tendenz – wir suchten Lebensmittel und

Weitere Kostenlose Bücher