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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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darauf ansprichst – ich war heute Morgen bei Ma, und auf einmal war sie ganz verwirrt und hat die Schwester gebeten, Dr. Rufus zu ihr zu schicken.«
    »Das ist doch in einem Pflegeheim nichts Merkwürdiges, oder?«
    »An sich nicht. Aber Mas behandelnder Arzt heißt Cotter, nicht Rufus.«
    »Ein Versprecher?«
    »Das glaube ich nicht. Sie schien sich ganz sicher zu sein. Außerdem …« Die schattenhafte Gestalt eines jungen Mannes namens Jimmy, den ihre Mutter einmal geliebt hatte und um den sie jetzt weinte, kam Laurel in den Sinn. »Es ist nicht das erste Mal, dass sie von jemandem gesprochen hat, den sie früher einmal gekannt hat. Ich glaube, die Vergangenheit lässt sie nicht in Ruhe. Ich glaube, sie möchte fast, dass wir die Wahrheit erfahren.«
    »Hast du sie darauf angesprochen?«
    »Nicht auf Dr. Rufus, aber ich habe sie nach ein paar anderen Dingen gefragt. Sie hat mir ziemlich offen geantwortet, aber das Gespräch hat sie sehr mitgenommen. Ich werde es natürlich noch einmal versuchen, aber wenn es eine andere Möglichkeit gibt, sollten wir sie nutzen.«
    »Ganz deiner Meinung.«
    »Ich war heute Morgen in der Bibliothek, um zu sehen, ob es Informationen über einen Arzt dieses Namens gibt, der in den Dreißiger-und Vierzigerjahren in Coventry oder vielleicht auch in London praktiziert hat. Ich habe nur seinen Nachnamen und keine Ahnung, was für eine Art Arzt er war, deswegen hat die Bibliothekarin mir geraten, es bei der Datenbank vom Lancet zu versuchen.«
    »Und?«
    »Ich habe einen Dr. Lionel Rufus gefunden. Gerry, ich bin mir fast sicher, dass er derjenige ist: Er hat zur richtigen Zeit in Coventry gewohnt und mehrere Aufsätze auf dem Gebiet der Persönlichkeitspsychologie veröffentlicht.«
    »Du glaubst, sie war seine Patientin? Dass Ma damals in psychologischer Behandlung war?«
    »Keine Ahnung, aber ich werde es herausfinden.«
    »Das übernehme ich«, sagte Gerry plötzlich. »Es gibt ein paar Leute, die ich fragen kann.«
    »Wirklich?«
    Er nickte: »Fahr du zurück nach Suffolk. Ich melde mich, sobald ich mehr weiß.«
    Das war mehr, als Laurel sich erhofft hatte – nein, das stimmte nicht, es war genau das, was sie sich erhofft hatte. Gerry würde ihr helfen; sie würden gemeinsam versuchen, in Erfahrung zu bringen, was damals passiert war. »Du bist dir doch darüber im Klaren, dass du auf ziemlich unerfreuliche Dinge stoßen könntest?« Sie wollte ihn nicht abschrecken, aber sie musste ihn warnen. »Etwas, das alles, was wir über sie zu wissen glauben, Lügen straft.«
    Gerry lächelte. » Du bist doch die Schauspielerin. Ist das nicht die Stelle, wo du mir sagen müsstest, dass Menschen sich nicht auf eine Formel bringen lassen – dass der menschliche Charakter viele Facetten hat und eine neue Variable nicht das ganze Theorem widerlegt?«
    »Ich wollte dir nur sagen: Sei auf der Hut, kleiner Bruder.«
    »Ich bin immer auf der Hut«, erwiderte er grinsend. »Und unsere Mutter wird immer unsere Mutter bleiben.«
    Laurel hob die Brauen. Sie wünschte, sie hätte seine Zuversicht. Aber sie hatte gesehen, was an jenem Tag in Greenacres geschehen war, sie wusste, wozu ihre Mutter fähig war. »Das ist aber nicht sehr wissenschaftlich von dir«, sagte sie streng.
    Gerry nahm ihre Hand. »Haben die gefräßigen Teenager-Galaxien dich nichts gelehrt, Lol?«, fragte er sanft. »Rechne immer damit, auf eine Antwort zu stoßen, die von keiner der derzeitigen Theorien in Betracht gezogen wird.«

18
    London, Ende Januar 1941
    N och nie im Leben war Dolly so gedemütigt worden. Und wenn sie hundert Jahre alt würde, sie würde nie vergessen, wie Henry und Vivien sie angesehen hatten, als sie gegangen war, die vornehmen Gesichter von einem amüsierten Grinsen verzerrt. Beinahe hätte sie sich tatsächlich so gefühlt, als wäre sie nichts weiter als ein einfaches Dienstmädchen, das sich verkleidet und feine Dame gespielt hatte. Beinahe. Aber so leicht war Dolly nicht kleinzukriegen. Schließlich hatte Dr. Rufus ihr immer wieder gesagt: »Du bist einzigartig, Dolly, das bist du wirklich.«
    Bei ihrem letzten gemeinsamen Mittagessen im Savoy, zwei Tage nach dem unsäglichen Vorfall, hatte er sich zurückgelehnt und sie über seine Zigarre hinweg betrachtet. »Sag mal, Dorothy«, hatte er gesagt, »was glaubst du eigentlich, warum diese Frau, diese Vivien dich auf so arrogante Weise verleugnet hat?« Dolly hatte nachdenklich den Kopf geschüttelt und ihm gesagt, zu welchen Schlüssen sie gelangt

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