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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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alles gut. Das haben wir gleich.«
    Bis sie schließlich so außer Atem war, dass sie nichts mehr sagen konnte und plötzlich merkte, dass Lady Gwendolyn schwerer geworden war, dass sie nicht länger mit den Armen ruderte und nach Luft schnappte. Dass es mit einem Mal unnatürlich still geworden war.
    Und dann war in dem pompösen Schlafzimmer kein einziges Geräusch mehr zu hören außer Dollys Atem und dem unheimlichen Quietschen des Betts, als sie ihre Arme unter der toten Lady herauszog und den noch warmen Körper auf die Matratze sinken ließ.
    Nachdem der Arzt die Tote untersucht hatte, stand er am Fußende des Betts und erklärte, es liege »ohne jeden Zweifel ein natürlicher Tod« vor. Er schaute Dolly an, die Lady Gwendolyns kalte Hand hielt und sich mit einem Taschentuch die Augen wischte. »Sie hat immer schon ein schwaches Herz gehabt«, sagte er zu ihr. »Seit sie als kleines Mädchen an Scharlach erkrankt war.«
    Dolly betrachtete Lady Gwendolyns Gesicht, das im Tod noch strenger wirkte, und nickte. Sie hatte weder das Pfefferminzbonbon noch ihr Niesen erwähnt; was hätte das genützt? Es hätte nichts geändert, und sie hätte nur wie eine Närrin dagestanden, wenn sie etwas von Süßigkeiten und Staubwolken gestammelt hätte. Das Pfefferminzbonbon hatte sich in der Zeit, die der Arzt gebraucht hatte, um sich durch die in der Nacht zuvor zerbombten Straßen bis hierher vorzukämpfen, sowieso aufgelöst.
    »Beruhigen Sie sich, meine Liebe«, sagte der Arzt und tätschelte Dollys Hand. »Ich weiß, dass Sie sie sehr gemocht haben. Und sie hatte Sie auch ins Herz geschlossen, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.« Dann hatte er seinen Hut aufgesetzt, seine Tasche genommen und erklärt, er werde die Adresse des von der Familie Caldicott bevorzugten Bestattungsunternehmens auf dem Tisch in der Eingangshalle hinterlassen.
    Lady Gwendolyns Testament wurde am 29. Januar 1941 in der Bibliothek des Hauses Campden Grove Nr. 7 verlesen. Streng genommen hätte man die Dokumente nicht zu verlesen brauchen, zumindest nicht öffentlich; Mr. Pemberly hätte es vorgezogen, jeder in dem Testament bedachten Person ein diskretes Schreiben zukommen zu lassen, aber Lady Gwendolyn mit ihrem untrüglichen Gespür fürs Dramatische hatte es so verfügt. Dolly, die als eine der Begünstigten eingeladen worden war, wunderte das nicht. Dass die alte Dame ihren Neffen verabscheut hatte, war kein Geheimnis, und offenbar hatte sie sich entschlossen, ihn über ihren Tod hinaus zu bestrafen, indem sie ihm sein erwartetes Erbe versagte und ihn noch dazu demütigte, indem er bei einer öffentlichen Testamentseröffnung mit erleben musste, wie das ganze Vermögen jemand anderem zugesprochen wurde.
    Dolly wählte ihre Garderobe an diesem Tag mit Bedacht, genauso, wie Lady Gwendolyn es von ihr erwartet hätte, bestrebt, als würdige Erbin aufzutreten, ohne den Eindruck zu erwecken, sie hätte sich allzu große Mühe gegeben.
    Nervös wartete sie darauf, dass Mr. Pemberly endlich zur Sache kam. Der arme Mann arbeitete sich stotternd und stammelnd durch die Präliminarien, der Blutschwamm auf seiner Wange leuchtete roter denn je, während er die Anwesenden (Dolly und Lord Wolsey) darüber aufklärte, dass die Wünsche seiner Mandantin, die er selbst als qualifizierter und unparteiischer Anwalt legitimiert habe, endgültig und bindend seien. Lady Gwendolyns Neffe war ein massiger Mann mit dem Gesicht einer Bulldogge, und Dolly hoffte, dass er den Ausführungen des Anwalts genau zuhörte. Er würde sicherlich nicht erfreut sein, wenn er erfuhr, was seine Tante getan hatte.
    Dolly sollte recht behalten. Lord Peregrine Wolsey war wie vom Donner gerührt, als das Testament endlich verlesen wurde. Schon unter normalen Umständen war er sehr reizbar, und er hatte bereits Schaum vor dem Mund, ehe Mr. Pemberly seine Vorrede beendet hatte. Bei jedem Satz, der nicht mit den Worten begann »Ich vermache meinem Neffen Peregrine Wolsey …«, hörte Dolly ihn neben sich indigniert schnauben. Schließlich holte der Anwalt tief Luft, zog ein Taschentuch heraus, um sich die Stirn zu trocknen, und kam zu dem Teil des Testaments, in dem es um die erheblicheren Hinterlassenschaften seiner Man dantin gehen sollte. »Ich, Gwendolyn Caldicott, widerrufe hier mit alle bisher von mir verfassten Testamente und hinterlasse der Ehefrau meines Neffen Peregrine Wolsey meine gesamte Garderobe und meinem Neffen selbst den Inhalt des Ankleidezimmers meines verstorbenen

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