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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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bei seinem nächsten Besuch wäre womöglich noch etwas Schlimmeres passiert. Dann wäre vielleicht der Falsche umgebracht worden.
    Laurel klappte das Album zu. Ihr war nicht mehr danach zumute, die Vergangenheit nachzuerzählen. Sie glättete das Laken über der Brust ihrer Mutter und sagte: »Gestern Abend hab ich Gerry besucht, Ma.«
    Aus dem Nichts, wie vom Wind hergetragen, ein gehauchtes Wort: »Gerry …«
    Laurel betrachtete die Lippen ihrer Mutter. Sie waren reglos, aber leicht geöffnet. Ihre Augen waren geschlossen. »Ja«, sagte Laurel aufgeregt. »Gerry. Ich hab ihn in Cambridge besucht. Es geht ihm sehr gut. Er ist so klug. Er vermisst den Himmel, wusstest du das? Hättest du je gedacht, dass unser Kleiner einmal so ein gestandener Wissenschaftler werden würde? Er sagt, sie schicken ihn vielleicht mit einem Forschungsauftrag in die Vereinigten Staaten, das wäre eine großartige Chance.«
    »Chance …« Ihre Mutter hauchte das Wort. Ihre Lippen waren trocken. Laurel nahm den Wasserbecher und schob ihr den biegsamen Strohhalm vorsichtig in den Mund.
    Ihre Mutter trank ein paar winzige Schlucke. Ihre Augen öffneten sich ein wenig. »Laurel«, sagte sie leise.
    »Ich bin hier, es ist alles gut.«
    Dorothys zarte Lider zitterten vor Anstrengung, nicht wieder zuzufallen. »Es schien harmlos …« Sie atmete ganz flach. »Es schien so harmlos.«
    »Was denn?«
    Tränen sickerten aus Dorothys Augen. Die tiefen Furchen ihres bleichen Gesichts glänzten. Laurel riss ein Papiertaschentuch aus der Schachtel und trocknete die Wangen ihrer Mutter so zärtlich, wie sie es bei einem ängstlichen kleinen Kind machen würde. »Was schien harmlos, Ma? Erzähl’s mir.«
    »Es war eine Chance, Laurel. Ich habe etwas … Ich habe etwas genommen …«
    »Was hast du?« Ein Schmuckstück gestohlen? Ein Foto? Henry Jenkins getötet?
    Dorothy klammerte sich noch fester an Laurels Hand und öffnete die wässrigen Augen, so weit sie konnte. In ihrer Stimme lag Verzweiflung, als sie fortfuhr, aber auch eine neue Bestimmtheit – als hätte sie lange darauf gewartet, diese Dinge endlich auszusprechen, und als wäre sie entschlossen, es jetzt zu tun, obwohl es sie alle Kraft kostete. »Es war eine Chance, Laurel. Ich dachte nicht, dass ich damit jemandem schaden würde. Ich wollte nur … Ich dachte, ich hätte es verdient … Ich dachte, es wäre nur gerecht.« Dorothy holte tief Luft, und ihr Atem ging so rasselnd, dass Laurel erschauderte. Ihre nächsten Worte kamen wie gehetzt. »Glaubst du an ausgleichende Gerechtigkeit, Laurel? Daran, dass wir uns, wenn man uns etwas nimmt, etwas zurückholen dürfen?«
    »Ich weiß nicht, Ma.« Es schmerzte Laurel bis ins Mark, ihre Mutter so zu sehen, alt und krank, von Schuld und Reue gequält, die Frau, die Ungeheuer verscheucht und Tränen weggeküsst hatte. Zärtlich sagte sie: »Es hängt davon ab, was uns geraubt wurde und was wir uns zum Ausgleich zurückholen.«
    Die Augen ihrer Mutter verloren ihren intensiven Ausdruck und wurden wässrig, als sie sich mit leerem Blick dem Fenster zuwandte. »Alles«, sagte sie. »Ich hatte das Gefühl, dass man mir alles geraubt hatte.«
    Später am Nachmittag, zurück in Greenacres, stieg Laurel auf den Speicher, setzte sich hin und zündete sich erst einmal eine Zigarette an. Die Dielen unter ihr waren glatt und solide, und die letzten Strahlen der Nachmittagssonne fielen durch das kleine, viergeteilte Dachfenster und landeten wie der Strahl eines Scheinwerfers auf der geschlossenen Truhe ihrer Mutter. Laurel zog nachdenklich an ihrer Zigarette. Sie saß lange so da, in der einen Hand die Zigarette, in der anderen den Truhenschlüssel, und kämpfte mit ihrem Gewissen. Der Schlüssel war leicht zu finden gewesen, er lag ganz hinten in der Nachttischschublade ihrer Mutter, genau wie Rose gesagt hatte. Jetzt brauchte Laurel ihn nur noch in das Schloss zu stecken und ihn umzudrehen.
    Aber was würde sie erfahren? Mehr über die Chance, von der Dorothy gesprochen hatte? Was genau sie genommen oder getan hatte?
    Nicht dass sie damit rechnete, ein schriftliches Geständnis in der Truhe zu finden, Gott bewahre. Aber wenn sie Hinweise haben wollte, die ihr halfen, das Geheimnis um die Vergangenheit ihrer Mutter zu lüften, dann schien die Truhe der richtige Ort zu sein, um danach zu suchen. Wenn Gerry und sie vorhatten, im Land umherzureisen und Leute zu bedrängen, ihnen Informationen zu geben, die Licht ins Dunkel bringen konnten, dann wäre es doch

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