Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)
Sorgen, Rosie. Ich fahre nur in die Stadt, um mir ein Buch anzusehen.«
»Ein Buch?«
»Ich muss etwas recherchieren.«
»Aha!« Rose ging weiter. »Recherchieren! Wusste ich’s doch, dass du dir nicht wirklich eine Auszeit nimmst. Gott, da bin ich aber erleichtert, Lol«, sagte sie und wedelte sich mit der Hand Luft zu. »Jetzt geht’s mir schon wieder viel besser.«
»Na dann«, sagte Laurel. »Freut mich, dass ich dir helfen konnte.«
Es war Gerrys Idee gewesen, mit der Suche nach Vivien in der British Library zu beginnen. Als sie am späten Abend den Namen gegoogelt hatten, waren sie nur auf Webseiten von walisischen Rugbymannschaften und in anderen Sackgassen des merkwürdigen Labyrinths namens Internet gelandet, aber die Bibliothek, beteuerte ihr Gerry, würde sie nicht enttäuschen. »Drei Millionen neue Anschaffungen pro Jahr, Lol«, hatte er gesagt, während er die Registrierung ausfüllte. »Das sind acht Kilometer Regale. Die müssen einfach etwas haben.« Begeistert hatte er den Online-Service der Bibliothek gelobt: »Die schicken dir Kopien von allem, was du brauchst, frei Haus.« Aber Laurel hatte abgewinkt und gesagt, für sie sei es einfacher, direkt in die Bibliothek zu fahren (»vorsintflutlich«, hatte Gerry gespottet). Vorsintflutlich hin oder her, Laurel hatte schon oft in Krimi-Serien mitgespielt, und sie wusste, dass bei der Spurensuche manchmal nur Pflastertreten half. Was, wenn die Informationen, die sie fanden, ihr weitere Hinweise gaben? Dann war es viel besser, vor Ort zu sein, als eine neue elektronische Bestellung aufzugeben und auf die Post warten zu müssen.
Sie erreichten Dorothys Zimmer, und Rose öffnete die Tür. Ihre Mutter lag schlafend auf dem Bett. Sie wirkte magerer und schwächer denn je, und Laurel wurde ganz plötzlich bewusst, dass Dorothys Zustand sich rapide verschlechterte. Eine Weile saßen die beiden Schwestern schweigend da und schauten zu, wie Dorothys Brustkorb sich hob und senkte. Dann nahm Rose ein Staubtuch aus ihrer Handtasche und begann, die auf dem Nachttisch aufgereihten Bilderrahmen zu säubern. »Die können wir ja schon mal einpacken«, sagte sie. »Für zu Hause.«
Laurel nickte.
»Ihre Fotos sind ihr so wichtig. Das waren sie schon immer, nicht wahr?«
Wieder nickte Laurel, sagte jedoch nichts. Sie musste an das Foto von Dorothy und Vivien denken, das während des Kriegs in London aufgenommen worden war. Auf der Rückseite war als Datum Mai 1941 notiert, der Monat, in dem ihre Mutter die Stelle in Grandma Nicolsons Pension angetreten hatte und Vivien Jenkins bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen war. Wo war das Foto gemacht worden?, fragte sich Laurel. Und von wem? War der Fotograf jemand gewesen, den die beiden gekannt hatten – Henry Jenkins vielleicht? Oder der Freund ihrer Mutter, Jimmy? Laurel runzelte die Stirn. So viele Puzzleteile fehlten ihnen noch.
Die Tür ging auf, und mit der Krankenschwester drangen Geräusche der Außenwelt ins Zimmer – Lachen, das Summen von Piepern, Telefonklingeln. Laurel schaute der Schwester zu, die mit routinierten Handgriffen Dorothys Puls und Temperatur maß und die Ergebnisse in das Krankenblatt eintrug, das am Fußende des Betts hing. Als sie fertig war, lächelte sie Rose und Laurel freundlich an und teilte ihnen mit, sie würde das Mittagessen ihrer Mutter warm halten für den Fall, dass sie aufwachte und Hunger habe. Laurel bedankte sich, und die Schwester verließ das Zimmer. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, verwandelte der Raum sich wieder in die stille Endstation, in der es warten hieß. Aber worauf eigentlich? Kein Wunder, dass Dorothy nach Hause wollte.
»Rose?«, sagte Laurel plötzlich.
»Mmmh?« Rose war gerade dabei, die Bilderrahmen sorgfältig zu stapeln.
»Als sie dich gebeten hat, ihr dieses Buch zu holen, das mit dem Foto, war es komisch, ihre Truhe zu öffnen?« Was sie eigentlich wissen wollte, war: Befand sich in der Truhe noch irgendetwas anderes, das ihnen helfen könnte, das Geheimnis zu lüften? Laurel überlegte, wie sie die Frage stellen könnte, ohne dass Rose auf ihre Nachforschungen aufmerksam wurde.
»Eigentlich nicht. Ehrlich gesagt hab ich mir nicht viel dabei gedacht. Ich habe mich beeilt, aus Angst, sie könnte auf die Idee kommen, mir auf den Dachboden zu folgen, wenn ich zu lange brauchte. Gott sei Dank war sie vernünftig genug, im Bett zu bleiben, wo ich sie …« Rose sog scharf die Luft ein.
»Was ist? Was ist los?«
Rose seufzte
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