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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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»Halt dich für deinen Auftritt bereit. Es dauert nicht mehr lange.«
    Ein Junge mit einem selbst gebastelten Papagei auf der Schulter und einem Haken aus silbern angemalter Pappe in der Hand lief ausgelassen auf Vivien zu, die unwillkürlich lachen musste.
    Sie probten also ein Theaterstück, dachte Jimmy. Peter Pan . Er hatte das Stück als Junge mit seiner Mutter im Theater gesehen. Sie waren extra dafür nach London gefahren, und nach der Vorstellung waren sie zum Tee ins Liberty gegangen, wo es so vornehm zugegangen war, dass Jimmy sich fehl am Platz gefühlt und ganz still dagesessen hatte. Er erinnerte sich an die wehmütigen Blicke, die seine Mutter hin und wieder zur Garderobe warf. Später hatten seine Eltern sich gestritten, wegen Geld (was sonst?), und Jimmy, der in seinem Zimmer war, hatte gehört, wie etwas zu Bruch gegangen war. Er hatte die Augen geschlossen und an das Stück gedacht, an seine Lieblingsszene, in der Peter Pan die Arme ausgebreitet und allen Zuschauern, die vom Nimmerland träumten, zugerufen hatte: »Glaubt ihr an Feen, Kinder? Wenn ja, dann klatscht kräftig in die Hände, lasst Tinkerbell nicht sterben!« Jimmy war aufgesprungen und hatte geklatscht und aus Leibeskräften gerufen: »Ja!«, fest davon überzeugt, Tinkerbell damit wieder zum Leben zu erwecken und alles Gute und Magische auf der Welt zu retten.
    »Nathan, hast du die Taschenlampe?«
    Jimmy wurde wieder in die Gegenwart zurückgeholt.
    »Nathan?«, sagte Vivien noch einmal. »Wir brauchen jetzt die Taschenlampe.«
    »Sie leuchtet doch schon«, sagte ein kleiner Junge mit roten Locken und einer Beinschiene. Er saß auf dem Boden und richtete die Taschenlampe auf das Segel.
    »Ah ja«, sagte Vivien. »So ist es gut.«
    »Aber wir können es fast gar nicht sehen«, protestierte ein anderer Junge, die Hände in die Hüften gestemmt, der den Hals reckte und durch seine Brille blinzelte.
    »Es funktioniert nicht, wenn wir Tinkerbell nicht sehen können«, sagte der Junge, der Käpt’n Hook spielte.
    »Doch, doch, das funktioniert«, entgegnete Vivien bestimmt. »Keine Sorge. Wir müssen es nur selbst glauben. Wenn wir alle sagen, dass wir sie sehen, dann sieht das Publikum sie auch.«
    »Aber wir können sie doch gar nicht sehen.«
    »Das stimmt, aber wenn wir sagen , wir könnten sie …«
    »Du meinst, wir sollen lügen?«
    Während Vivien an die Decke schaute, auf der Suche nach den richtigen Worten, um zu erklären, was sie meinte, begannen die Kinder, sich untereinander zu zanken.
    »Verzeihung«, sagte Jimmy, der von der Tür aus in den Raum lugte. Als ihn niemand zu hören schien, sagte er etwas lauter noch einmal: »Verzeihung?«
    Alle drehten sich um. Vivien atmete scharf ein, als sie ihn sah, dann funkelte sie ihn wütend an. Jimmy musste sich eingestehen, dass es ihm eine gewisse Genugtuung bereitete, sie zu ärgern, indem er ihr zeigte, dass nicht alles so lief, wie sie sich das vorstellte.
    »Ich dachte gerade«, sagte er, »vielleicht würde es besser gehen mit so einem Scheinwerfer, wie ihn Fotografen benutzen. Die funktionieren genauso wie Taschenlampen, aber sie machen viel helleres Licht.«
    Keins der Kinder reagierte besonders überrascht, dass ein Fremder sich in ihr Spiel einmischte. Alle schienen über seinen Vorschlag nachzudenken, einige besprachen sich flüsternd. Schließlich sprang ein Junge auf und rief begeistert: »Ja!«
    »Perfekt!«, sagte ein anderer.
    »Aber wir haben so einen Scheinwerfer doch gar nicht«, wandte der Junge mit der Brille mit finsterem Blick ein.
    »Ich könnte euch einen besorgen«, sagte Jimmy. »Ich arbeite für eine Zeitung, und in unserem Studio haben wir jede Menge Scheinwerfer.«
    Die Kinder brachen in Jubelrufe aus.
    »Aber wie sollen wir machen, dass es aussieht, als würde da eine Fee herumfliegen und so?«, meldete sich noch einmal der Junge mit der Brille zu Wort.
    Jimmy betrat den Raum. Alle Kinder hatten sich ihm inzwischen zugewandt. Viviens Augen funkelten immer noch wütend, das Buch hielt sie zugeschlagen auf dem Schoß. Jimmy schenkte ihr keine Beachtung. »Der Scheinwerfer müsste ziemlich weit oben angebracht werden. Ja, ich glaube, so würde es funktionieren, und wenn man darauf achtet, dass der Lichtstrahl nach unten gerichtet ist, würde er nicht die ganze Bühne, sondern nur einen kleinen Bereich beleuchten, und wenn ihr dann vielleicht noch eine Art Trichter basteln könntet …«
    »Aber wir sind nicht so groß, um den Scheinwerfer zu bedienen«,

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