Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)
schlechte Zeiten durch, Mr. Metcalfe. Mrs. Jenkins erwischt es hin und wieder, aber geht uns das nicht allen so?« Nach kurzem Zögern fügte sie sanft, aber bestimmt hinzu: »Hören Sie, Jimmy, ich weiß, dass Sie sie ins Herz geschlossen haben, und das ist nur verständlich. Sie ist wirklich ein Engel, wenn man bedenkt, was sie alles für die Kinder hier tut. Aber ich bin mir sicher, dass es keinen Grund zur Beunruhigung gibt und dass ihr Mann sich fürsorglich um sie kümmert.« Sie schenkte ihm ein mütterliches Lächeln. »Machen Sie sich keine Gedanken.«
Jimmy nickte, dann ging er die Treppe hoch, aber Myras Worte stimmten ihn nachdenklich. Vivien war krank, da war es doch nur natürlich, dass er sich Sorgen um sie machte. Warum also war Myra so sehr daran gelegen, dass er sich nicht um sie sorgte? Wollte sie andeuten, dass er sich ein wenig zu sehr für sie interessierte? Aber hätte sie das nicht eher jemandem wie Dr. Tomalin sagen müssen?
Jimmy besaß kein Exemplar des Textes von Peter Pan , aber er leitete die Probe so gut er konnte. Die Kinder waren folgsam, spielten mit Eifer ihre Rollen, und alles lief mühelos. Er war sogar ein bisschen stolz auf sich, bis sie mit dem Aufräumen fertig waren und die Kinder sich um die Obstkiste versammelten, die ihm als Sitz diente, und ihn um eine Geschichte baten. Jimmy sagte ihnen, er kenne keine Geschichte, und als sie ihm nicht glauben wollten, versuchte er vergeblich, eine von Viviens Geschichten weiterzuspinnen, bis ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, dass er doch eine Geschichte kannte – die von der Nachtwind . Sie hörten ihm mit großen Augen zu, und zum ersten Mal spürte Jimmy, wie viel er mit Dr. Tomalins kleinen Patienten gemeinsam hatte.
Inzwischen hatte er Myras Bemerkung völlig vergessen, und erst nachdem er sich von den Kindern verabschiedet hatte und auf dem Weg nach unten war, fiel sie ihm wieder ein. Er überlegte, wie er Myra verständlich machen konnte, dass sie sich ein falsches Bild machte. Er durchquerte die Eingangshalle und steuerte den Empfangstresen an, aber noch ehe er ein ein ziges Wort vorbringen konnte, sagte sie: »Ach, da sind Sie ja, Jimmy.« Dann fügte sie mit weihevoller Stimme hinzu: »Dr. Tomalin möchte Sie sprechen«, und zupfte ihm eine Fluse vom Kragen.
Jimmy wartete. Er hatte einen bitteren Geschmack im Mund, so wie früher als Junge, wenn er sich vorstellte, den Mann zur Rede zu stellen, der ihm seine Mutter weggenommen hatte. Die Minuten schienen sich zu Stunden zu dehnen, bis sich die Tür in der hinteren Wand endlich öffnete und ein eleganter Herr heraustrat. Jimmys Feindseligkeit war auf der Stelle verflogen, und er war nur noch verwirrt. Der Mann hatte weißes, sehr kurz geschnittenes Haar, trug eine Brille mit dicken Gläsern, die seine blauen Augen grotesk vergrößerten, und er war mindestens achtzig Jahre alt.
»So, so. Sie sind also Jimmy Metcalfe«, sagte der Arzt, als er Jimmys Hand schüttelte. »Sie kommen gut zurecht mit den Kindern?«
»Ja, Sir, danke. Sehr gut.« Jimmy versuchte zu verstehen, was das alles zu bedeuten hatte. Das Alter des Mannes schloss nicht kategorisch aus, dass er Vivien Jenkins’ Liebhaber war, aber dennoch …
»Die beiden Damen halten Sie an der kurzen Leine, nehme ich an«, fuhr der Arzt fort. »Die junge Vivien ist die Enkelin eines alten Freundes.«
»Das wusste ich nicht.«
»Nein? Na ja, jetzt wissen Sie’s.«
Jimmy nickte und versuchte zu lächeln.
»Wie auch immer. Großartige Sache, dass Sie bei den Kindern aushelfen. Sehr liebenswürdig. Ich wollte Ihnen nur meinen Dank aussprechen.« Dann nickte er steif und kehrte in sein Sprechzimmer zurück.
»Er mag Sie«, sagte Myra anerkennend, als die Tür sich schloss.
Jimmy schwirrte der Kopf. Er verstand die Welt nicht mehr. »Meinen Sie?«
»Aber ja.«
»Woran haben Sie das gemerkt?«
»Normalerweise hat er keine Zeit für erwachsene Besucher. Er hat lieber mit Kindern zu tun. Das war schon immer so.«
»Sie kennen ihn schon lange?«
»Ich arbeite seit dreißig Jahren für ihn«, verkündete sie voller Stolz und rückte das goldene Kreuz an ihrer Halskette zurecht. »Eins kann ich Ihnen sagen«, fuhr sie fort, während sie Jimmy über ihre Halbbrille hinweg beäugte. »Er duldet nicht viele Erwachsene in seinem Krankenhaus. Sie sind der Einzige, von dem ich wüsste, der von Dr. Tomalin persönlich begrüßt wurde.«
»Außer Vivien natürlich.« Jimmy blieb am Ball. Myra würde sicherlich Licht in die
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