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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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»bei Mrs. Jenkins scheint alles seinen gewohnten Gang zu gehen«. Aber dann, am 5. April, wurde es interessant.
    Heute war ein Brief von meiner jungen Freundin Vivien in der Post. Er war für ihre Verhältnisse sehr ausführlich, und ich merkte sofort, dass sich an ihrem Ton etwas geändert hatte. Was ich zunächst mit Freude zur Kenntnis nahm, da es den Eindruck erweckte, dass ihre alte Lebensfreude zurückgekehrt war, und es den Anschein hatte, als hätte sie ihren Frieden gefunden. Aber ach, dem war nicht so, denn in dem Brief stand nichts von einer neuen Zuwendung zu Heim und Herd. Vielmehr berichtete sie in allen Einzelheiten von der ehrenamtlichen Arbeit, die sie in Dr. Tomalins Krankenhaus für Waisenkinder verrichtet, begleitet wie immer von der Bitte, ihren Brief nach dem Lesen zu vernichten und in meiner Antwort keinen Bezug auf ihre Arbeit zu nehmen.
    Ich werde mich selbstverständlich an ihre Bitte halten, aber ich werde ihr abermals aufs Eindringlichste raten, jedes Engagement an diesem Ort einzustellen, zumindest so lange, bis ich eine Lösung für ihre Probleme gefunden habe. Reicht es denn nicht, dass sie dem Krankenhaus Geld spendet? Legt sie keinen Wert auf ihre eigene Gesundheit? Sie wird nicht aufhören, das weiß ich; mit ihren zwanzig Jahren ist Vivien immer noch so dickköpfig wie das kleine Mädchen damals auf dem Schiff, das alle meine Ermahnungen in den Wind schlug, wenn sie ihm nicht gefielen. Nichtsdestoweniger werde ich ihr schreiben. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn etwas passierte und ich nicht alles unternommen hätte, um es zu verhindern.
    Laurel runzelte die Stirn. Was sollte denn passieren? Und warum in aller Welt versuchte ausgerechnet Katy Ellis, Lehrerin und Fürsprecherin traumatisierter Kinder, Vivien dazu zu überreden, ihre ehrenamtliche Tätigkeit in Dr. Tomalins Krankenhaus für Waisenkinder aufzugeben? Es sei denn, Dr. Tomalin selbst stellte eine Gefahr dar. War es das? Oder lag das Krankenhaus vielleicht in einer Gegend, die besonders intensiv bombardiert wurde? Nach kurzem Nachdenken kam Laurel zu dem Schluss, dass sie diese Fragen vorerst hintanstellen musste, und letztlich waren sie wohl auch irrelevant für ihre Mission, die darin bestand, herauszufinden, was es mit dem Plan ihrer Mutter auf sich gehabt hatte. Sie las weiter.
    Der Grund für Viviens wiedererwachte Lebensgeister erschloss sich mir auf der zweiten Seite des Briefs. Anscheinend hat sie jemanden kennengelernt, einen jungen Mann. Zwar ist sie peinlichst darauf bedacht, ihn nur beiläufig zu erwähnen – »Bei meinem Kindertheaterprojekt werde ich neuerdings unterstützt durch einen jungen Mann, der so wenig über Grenzen zu wissen scheint wie ich über die Kunst, einen Scheinwerfer in eine Fee zu verwandeln« –, aber ich kenne meine junge Freundin gut genug, um zu argwöhnen, dass sie diese unbekümmerte Fassade nur an den Tag legt, um etwas Wichtiges vor mir zu verbergen. Um was genau es sich bei diesem Etwas handelt, weiß ich nicht, nur dass es ganz und gar nicht ihre Art ist, so viele Zeilen an einen Menschen zu verschwenden, dessen Bekanntschaft sie gerade erst gemacht hat. Ich bleibe jedenfalls skeptisch. Mein Instinkt hat mich noch nie getrogen, und ich werde ihr unverzüglich antworten und sie dringend zur Vorsicht mahnen.
    Genau das hatte Katy Ellis anscheinend getan, denn ihr nächster Tagebucheintrag enthielt ein längeres Zitat aus einem Brief von Vivien Jenkins, in dem sie auf Katy Ellis’ Bedenken einging.
    Wie sehr Sie mir fehlen, liebe Katy! Seit einem Jahr haben wir uns nicht gesehen. Aber es fühlt sich an, als wären es zehn Jahre gewesen. Ihr Brief ließ mich wünschen, wir säßen zusammen unter dem Baum am See in Nordstrom, wo wir gepicknickt haben, als Sie zu Besuch da waren. Erinnern Sie sich an den Abend, als wir uns aus dem großen Haus geschlichen und Papierlampions in die Bäume gehängt haben? Meinem Onkel haben wir hinterher erzählt, es müssten Zigeuner gewesen sein, und er hat den ganzen Tag das Gelände abgesucht, mit dem Gewehr über der Schulter und seinem armen, arthritischen Hund bei Fuß. Der liebe, alte Dewey, so ein treuer Hund.
    Sie haben mir später Vorhaltungen gemacht wegen meines dummen Streichs, aber ich erinnere mich noch sehr gut, dass Sie diejenige waren, die beim Frühstück am nächsten Morgen ausführlich die »furchterregenden Geräusche« beschrieben hat, die wir in der Nacht gehört hatten, als die »Zigeuner« in die geheiligten Gefilde der

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