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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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Nordstrom School »eingedrungen sein müssen«. Aber war es denn nicht herrlich, im silbrigen Mondlicht zu schwimmen? Wie ich das Schwimmen liebe! Es ist, als würde man vom Rand der Welt springen, nicht wahr? Ich habe wohl nie aufgehört zu glauben, dass ich eines Tages den Tunnel am Grund des Bachs finden werde, der mich zurück nach Hause bringt.
    Ach, Katy! Ich frage mich, wie alt ich noch werden muss, bis Sie endlich aufhören, sich Sorgen um mich zu machen. Was für eine Last ich für Sie sein muss. Werden Sie mich immer noch ermahnen, meine Röcke sauber zu halten und mir die Nase zu putzen, wenn ich als alte Frau strickend im Schaukelstuhl sitze? Wie rührend Sie sich über die Jahre um mich gekümmert haben, wie schwer ich es Ihnen manchmal gemacht habe, und wie glücklich ich mich schätzen kann, dass Sie es waren, die mich an jenem schrecklichen Tag am Bahnhof in Empfang genommen hat.
    Wie immer zeugen Ihre Ratschläge von großer Klugheit, und seien Sie versichert, meine liebe Katy, dass ich Ihre Ratschläge beherzige. Ich bin kein Kind mehr, und ich kenne meine Verantwortung. Aber Sie glauben mir nicht, nicht wahr? Während Sie dies lesen, schütteln Sie bestimmt den Kopf und sagen sich, was für eine unbesonnene Person ich doch bin. Zu Ihrer Beruhigung kann ich Ihnen mitteilen, dass ich mit dem Mann bisher kaum ein Wort gesprochen habe (nennen wir ihn »Jimmy« – »der Mann« klingt allzu bedrohlich). Ja, ich bin bis an die Grenze der Unhöflichkeit bestrebt, jeglichen Kontakt mit ihm zu vermeiden. Dafür bitte ich Sie um Verzeihung, meine Liebe, denn ich weiß, es würde Ihnen nicht gefallen zu hören, dass Ihre Schutzbefohlene in dem Ruf steht, ungehobelt zu sein, und ich für mein Teil würde es abscheulich finden, Ihren guten Namen in Verruf zu bringen!
    Laurel lächelte. Vivien wurde ihr immer sympathischer. Der Brief war voller Ironie und mildem Spott, ohne die fürsorgliche Glucke Katy jemals zu beleidigen. Katy hatte sogar unter den Auszug aus dem Brief geschrieben: Es freut mich zu sehen, dass meine freche junge Freundin wieder da ist. Sie hat mir in den letz ten Jahren gefehlt . Was Laurel weniger gefiel, war der Name, den Vivien ihrem jungen Helfer gab. War das derselbe Jimmy, den Laurels Mutter geliebt hatte? Mit Sicherheit. Konnte es Zufall sein, dass er mit Vivien zusammen in Dr. Tomalins Krankenhaus arbeitete? Mit Sicherheit nicht. Eine böse Vorahnung beschlich Laurel, als ihr dämmerte, wie der Plan der beiden Liebenden ausgesehen hatte.
    Offenbar hatte Vivien keine Ahnung von der Verbindung zwischen dem netten jungen Mann im Krankenhaus und ihrer ehemaligen Freundin Dorothy – was kein Wunder war. Kitty Barker hatte Laurel erzählt, wie sehr Dorothy darauf bedacht war, ihren Freund von der Campden Grove fernzuhalten. Und sie hatte ihr beschrieben, wie sehr der Krieg Gefühle intensiviert und moralische Gewissheiten unterhöhlt hatte – und so, wie Laurel plötzlich klar wurde, die perfekten Voraussetzungen dafür geschaffen hatte, dass ein verliebtes Pärchen von einer gemeinsamen psychotischen Störung erfasst wurde.
    In den Tagebucheintragungen der folgenden Woche wurden weder Vivien noch »der junge Mann« erwähnt. Stattdessen beschäftigte sich Katy Ellis mit dem unmittelbaren Problem der Organisation des Zivilschutzes und mit Radiomeldungen über eine bevorstehende Invasion. Am 19. April äußerte sie sich besorgt darüber, dass Vivien ihr nicht wie erwartet geschrieben hatte, erwähnte jedoch am nächsten Tag einen Anruf von Dr. Tomalin, der ihr mitgeteilt hatte, dass Vivien krank sei. Das war interessant: Die beiden kannten sich also, und dass Katy Viviens Tätigkeit in dem Krankenhaus so vehement ablehnte, hatte folglich nichts mit dem Charakter des Arztes zu tun. Vier Tage später hatte sie Folgendes geschrieben:
    Heute kam ein Brief, der mich zutiefst beunruhigt. In einer Zusammenfassung könnte ich den Ton des Briefes unmöglich treffen, und ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte, die Stellen zu zitieren, die mich verstören. Deswegen werde ich dieses einzige Mal gegen die Wünsche meiner lieben jungen (anstrengenden!) Freundin verstoßen und diesen Brief nicht den Flammen anheimgeben.
    Laurel blätterte um. Tatsächlich! Da lag er. Auf dünnem weißen Papier und mit einer Sauklaue geschrieben – offenbar in großer Hast –: der Brief von Vivien Jenkins an Katy Ellis vom 23. April 1941. Einen Monat vor ihrem Tod, wie Laurel grimmig feststellte.
    Ich schreibe

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