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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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wusste davon …«
    Aber das stimmte nicht ganz, oder? Katy Ellis hatte es gewusst: die beschönigenden Bemerkungen über Viviens Gesundheit; die übertriebene Sorge, mit der sie die Freundschaft zwischen Vivien und Jimmy verfolgt hatte; der Brief, den sie Jimmy hatte schreiben wollen, um ihm zu erklären, warum er Vivien aus dem Weg gehen sollte. Katy hatte unbedingt verhindern wollen, dass Vivien irgendetwas tat, was den Zorn ihres Mannes erregte. Hatte sie deswegen versucht, ihre junge Freundin dazu zu überreden, ihre Tätigkeit in Dr. Tomalins Krankenhaus aufzugeben? War Henry eifersüchtig auf den Arzt gewesen?
    »Henry … Ich hatte Angst …«
    Laurel betrachtete das blasse Gesicht ihrer Mutter. Katy war Viviens Freundin und Vertraute gewesen – es war naheliegend, dass sie über so ein schmutziges Geheimnis Bescheid gewusst hatte. Aber woher wusste Dorothy davon? War Henry etwa auch ihr gegenüber gewalttätig geworden? War das der Grund, warum der Plan der jungen Liebenden missglückt war?
    Dann kam Laurel ganz plötzlich eine schreckliche Idee. Henry hatte Jimmy getötet. Er hatte von Jimmys Freundschaft mit Vivien erfahren und ihn getötet. Deswegen hatte ihre Mutter den Mann, den sie liebte, nicht heiraten können. Die Antworten fielen wie Dominosteine: So hatte sie von Henrys Gewalttätigkeit erfahren, deswegen hatte sie solche Angst gehabt.
    »Deswegen«, sagte Laurel hastig. »Du hast Henry getötet, wegen dem, was er Jimmy angetan hatte.«
    Die Antwort kam so leise, dass es auch ein Luftzug hätte sein können. Aber Laurel hörte sie. »Ja.«
    Nur ein einziges Wort, aber es war Musik in Laurels Ohren. Dieses Wort enthielt die Antwort auf die Frage, die sie ihr Leben lang umgetrieben hatte.
    »Als er hier in Greenacres aufgetaucht ist, hattest du Angst, er wäre gekommen, um dir etwas Böses anzutun, weil Vivien damals gestorben war.«
    »Ja.«
    »Und du hattest Angst, er könnte auch Gerry etwas antun.«
    »Er hat gesagt …« Dorothy riss die Augen auf und umklammerte Laurels Hand noch fester. »Er hat gesagt, er würde alles zerstören, was mir lieb und teuer ist …«
    »Ach, Ma.«
    »… genauso, wie ich es mit ihm gemacht hatte.«
    Als Dorothy ihre Hand erschöpft losließ, hätte Laurel vor Erleichterung weinen können. Endlich, nachdem sie wochenlang geforscht hatte, nachdem sie sich jahrelang immer wieder dieselbe Frage gestellt hatte, klärte sich alles: Was sie gesehen hatte, die Bedrohung, die sie empfunden hatte, als der Mann mit dem schwarzen Hut auf das Haus zugekommen war, die Geheimnistuerei hinterher.
    Dorothy Nicolson hatte Henry Jenkins, als er 1961 in Greenacres auftauchte, getötet, weil er ein gewalttätiges Monster war, ein Mann, der seine Frau misshandelt und Dorothys Geliebten umgebracht hatte und der zwanzig Jahre nach ihr gesucht hatte. Und als er sie endlich gefunden hatte, hatte er ihr angedroht, die Familie zu zerstören, die sie über alles liebte.
    »Laurel …«
    »Ja, Ma?«
    Aber Dorothy sagte nichts mehr. Ihre Lippen bewegten sich stumm, während sie in den verstaubten Ecken ihrer Erinnerung nach Zusammenhängen suchte, die sich ihr vielleicht nie mehr erschließen würden.
    »Ganz ruhig, Ma.« Laurel streichelte ihr die Stirn. »Es ist alles gut. Jetzt ist alles gut.«
    Laurel richtete die Laken, dann blieb sie noch eine Weile am Bett stehen und betrachtete das Gesicht ihrer Mutter, die jetzt friedlich schlief. Während sie ihre Nachforschungen betrieben hatte, so wurde ihr jetzt bewusst, war sie die ganze Zeit angetrieben worden von dem Wunsch, dass ihre glückliche Familie, ihre Kindheit, die Liebe in den Augen ihrer Eltern, wenn sie einander angesehen hatten, dass all das keine Lüge gewesen war. Und jetzt wusste sie es.
    Ihr Herz quoll über vor Liebe und Ehrfurcht und dem Gefühl, endlich alles, was vorgefallen war, hinnehmen zu können. »Ich liebe dich, Ma«, flüsterte sie dicht an Dorothys Ohr, und sie wusste, dass ihre Suche beendet war. »Und ich verzeihe dir.«
    Aus der Küche war Iris’ Stimme zu hören, die sich mal wieder über irgendetwas aufregte, und plötzlich wollte Laurel unbedingt bei ihren Geschwistern sein. Sie glättete noch einmal die Bettdecke und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Stirn.
    Die Dankeskarte lag auf dem Stuhl hinter ihr, und Laurel nahm sie an sich, um sie in ihr Zimmer zu bringen. Sie war bereits in Gedanken in der Küche, wo sie sich eine Tasse Tee aufgießen würde, weswegen sie später nicht mehr sagen konnte, warum

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