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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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hatte, später jedoch in Vergessenheit geriet. Er verlor Geld, Ansehen, Freunde und schließlich jeden Halt; sein unrühmliches Ende beschäftigte eine kurze Zeit die Öffentlichkeit, gehörte aber ebenfalls längst der Vergangenheit an. Laurel las den Abschnitt noch ein zweites und drittes Mal, sah alles bildlich vor sich, bis sie die Legende beinahe selbst glaubte.
    Dann hatte sie einmal zu viel geklickt. Es war ein scheinbar harmloser Link zu einer Webseite mit dem Titel »Das Imaginarium des Rupert Holdstock«. Das Foto erschien auf dem Bild schirm wie ein Gesicht am Fenster: unverkennbar Henry Jenkins, aber jünger als zu dem Zeitpunkt, als sie ihn hatte auf das Haus zukommen sehen. Laurel wurde es abwechselnd heiß und kalt. Kein einziger der Zeitungsartikel über den Vorfall hatte ein Foto enthalten, und es war das erste Mal, dass sie seit jenem Nachmittag im Baumhaus sein Gesicht sah.
    Sie konnte nicht anders, sie startete eine Bildersuche. Innerhalb von 0,27 Sekunden hatte Google ihren Bildschirm mit identischen Fotos gekachelt, die nur in der Größe leicht voneinander abwichen. Die Anhäufung verlieh dem Bild etwas Makabres. (Oder waren es ihre eigenen Assoziationen, die den Eindruck hervorriefen? Das Quietschen der Gartenpforte; Bar nabys Knurren; das blutgetränkte weiße Hemd.) Reihe um Reihe Porträts in Schwarz-Weiß: vornehme Kleidung, dunkler Schnurr bart, dichte Brauen, ein beunruhigend direkter Blick. »Hallo Dorothy«, schienen die Lippen alle gleichzeitig zu sagen. »Lange nicht gesehen.«
    Laurel hatte den Laptop zugeklappt, und im Zimmer war es dunkel geworden.
    Sie hatte den Anblick von Jenkins nicht länger ertragen, aber sie hatte über ihn nachgedacht und auch über dieses Haus, das gleich bei ihr um die Ecke stand, und als das erste Buch per Übernachtexpress eingetroffen war und sie es von der ersten bis zur letzten Seite gelesen hatte, hatte sie auch wieder über ihre Mutter nachgedacht. Die Stunden mit ihr war der achte Roman von Henry Jenkins, erschienen 1940, und er handelte von einer Liebesaffäre zwischen einem angesehenen Autor und der Gesellschafterin seiner Frau. Die junge Frau – Sally – war ein kleines Luder und der Protagonist ein leidgeprüfter Mann, dessen Frau sehr schön, aber gefühlskalt war. Abgesehen von der etwas altbackenen Sprache war die Geschichte gar nicht so schlecht: Die Figuren waren gut charakterisiert, und der Konflikt des Ich-Erzählers war zeitlos und bekam noch eine brisante Note, weil Sally und die Ehefrau sich anfreundeten. Am Ende war der Erzähler drauf und dran, die Affäre zu beenden, fürchtete aber die Konsequenzen. Die arme Sally war ihm hoffnungslos ergeben, und wer sollte ihr das verdenken? Wie Henry Jenkins selbst geschrieben hatte, war er – das heißt, der Protagonist – schließlich eine gute Partie.
    Und jetzt stand Laurel da und schaute zum Dachfenster des Hauses hoch. Es war allgemein bekannt, dass Henry Jenkins den Stoff für seine Romane vor allem aus dem wirklichen Le ben genommen hatte. Dorothy hatte eine Zeit lang als Zimmer mädchen gearbeitet (so war sie in Grandma Nicolsons Pension gekommen); Dorothy und Vivien waren eng befreundet gewesen; Dorothy und Henry waren am Ende alles andere als Freunde gewesen. War es zu weit hergeholt anzunehmen, dass die Sally aus dem Roman ihre Mutter war?, fragte sich Laurel. Dass Dorothy irgendwann dort oben in dem kleinen Zimmer unter dem Dach gewohnt hatte, dass sie sich in ihren Arbeitgeber verliebt hatte und von ihm fallen gelassen worden war? War das die Erklärung für die Szene, deren Augenzeugin Laurel in Greenacres geworden war – die Wut einer verschmähten Frau?
    Vielleicht.
    Während Laurel sich den Kopf darüber zerbrach, wie sie herausfinden sollte, ob eine junge Frau namens Dorothy für Henry Jenkins gearbeitet hatte, ging die Tür des Hauses auf – eine rote Tür, was deren Besitzer gleich sympathisch machte –, und heraus stürmte eine ausgelassene Rasselbande, drei kleine Mädchen in dicken Strumpfhosen und handgestrickten Pudelmützen. Niemand mochte es, ausspioniert zu werden, also zog Laurel den Kopf ein und kramte in ihrer Handtasche herum, bemüht, wie eine ganz normale Passantin zu wirken und nicht wie jemand, der nichts Besseres zu tun hatte, als herumzuspionieren. Es gelang ihr dennoch, das Geschehen zu beobachten: Den Kindern folgte eine Frau mit einem Baby in einem Kinderwagen, und Laurel überlegte gerade, ob sie ihre Hilfe anbieten sollte, als – du liebe

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