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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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aber manchmal hab ich einfach so ein Gefühl.«
    »Ein Gefühl?«
    »Lol …«
    »Denn wenn du über unheimliche Gefühle reden willst, solltest du dich lieber an Rose …«
    »Verdammt, Laurel …«
    »Wir können gern morgen im Aschram anrufen, wenn du willst …«
    Er warf mit einem Kissen nach ihr. »Ich meine es ernst, Lol. Es macht mich verrückt. Und ich frage dich, weil ich weiß, dass du mir die Wahrheit sagen wirst.«
    Er lächelte zögerlich, denn sie waren es nicht gewohnt, über ernste Dinge zu reden, und zum x-ten Mal dachte Laurel, wie sehr sie ihn liebte. Ein eigenes Kind hätte sie nicht mehr lieben können als ihn, da war sie sich ganz sicher.
    »Es ist, als würde ich mich an etwas erinnern, aber ich kriege es nicht zu fassen. Als wäre das, was passiert ist, längst vergessen, aber die Gefühle, die Gewalt und die Angst, zumindest ihre Schatten, wären geblieben. Verstehst du, was ich meine?«
    Laurel nickte. Sie wusste genau, was er meinte.
    »Und?« Unsicher hob er eine Schulter und ließ sie wieder fallen, wie entmutigt. »War da irgendwas?«
    Was hätte sie ihm sagen können? Die Wahrheit? Kaum. Es gab Dinge, die erzählte man seinem kleinen Bruder nicht, egal wie groß die Versuchung war. Nicht am Abend, bevor er sein Studium beginnen würde, nicht auf dem Dach eines vierstöckigen Hauses. Nicht einmal, wenn es sich um ausgerechnet die Sache handelte, die sie in dem Moment am allerliebsten mit ihm geteilt hätte. »Mir fällt jedenfalls nichts ein, G.«
    Er hatte nicht noch einmal nachgefragt, und er gab ihr auch nicht zu verstehen, dass er ihr nicht glaubte. Nach einer Weile begann er wieder, ihr von Sternen und schwarzen Löchern und dem Anfang aller Dinge zu erzählen, und Laurel ging das Herz über vor Liebe, aber auch etwas wie Bedauern mischte sich in das Gefühl. Sie vermied es, ihn direkt anzusehen, denn in seinen Augen lag etwas, das sie an das kleine, süße Baby erinnerte, das angefangen hatte zu weinen, als seine Ma es unter der Glyzinie auf den Boden gesetzt hatte, und das konnte sie nicht ertragen.
    Am nächsten Tag fuhr Gerry nach Cambridge, und dort war er geblieben, ein Student, der Auszeichnungen einheimste und daran arbeitete, die Rätsel dieser Welt zu lösen. Sie hatten einander hin und wieder besucht und geschrieben – hastig hingeworfene Anekdoten, die sich hinter den Kulissen abspielten (sie), und zunehmend kryptische, auf Cafeteria-Servietten gekritzelte Berichte (er) –, aber auf unerklärliche Weise war es nie wieder so gewesen wie früher. Laurel war sich nicht sicher, ob nur sie das so empfand, oder ob auch er sich dessen bewusst war, dass in jener Nacht auf dem Dach etwas zwischen ihnen lautlos zerbrochen war. Sie hatte die Entscheidung, es ihm nicht zu sagen, zutiefst bedauert, allerdings erst viel später. Damals hatte sie geglaubt, das Richtige zu tun, aber jetzt war sie sich da nicht mehr so sicher.
    »So, da wären wir. Charlotte Street Hotel. Macht dann zwölf Pfund.«
    »Danke.« Laurel verstaute das Smartphone in ihrer Handtasche und gab dem Fahrer fünfzehn Pfund. Womöglich war Gerry, so dachte sie jetzt, abgesehen von ihrer Mutter der einzige Mensch, mit dem sie über die Sache reden konnte; schließlich war er an dem Tag auch dabei gewesen. Sie und er waren durch das, was sie miterlebt hatten, für alle Zeit aneinandergekettet.
    Als Laurel die Tür des Taxis öffnete, hätte sie beinahe ihre Agentin Claire gerammt, die mit einem Schirm auf dem Gehweg stand. »Gott, Claire, hast du mich erschreckt«, sagte sie, als das Taxi losfuhr.
    »Ach, das gehört doch zum Service. Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?«
    »Alles bestens.«
    Sie hauchten einander Küsschen auf die Wangen und eilten in das trockene, warme Hotel. »Der Set wird noch aufgebaut«, sagte Claire, während sie den Schirm ausschüttelte. »Beleuchtung und so weiter. Möchtest du inzwischen etwas trinken? Tee? Kaffee?«
    »Wie wär’s mit einem Gin?«
    Claire hob eine perfekt gezupfte Braue. »Den wirst du nicht brauchen. Das hast du doch schon hundertmal gemacht, und ich werde dabei sein. Wenn der Journalist auch nur die geringsten Anstalten macht, von den vorgegebenen Fragen abzuweichen, kriegt er es mit mir zu tun.«
    »Das möchte ich erleben.«
    »Du wärst beeindruckt.«
    »Das bezweifle ich nicht.«
    Sie hatten gerade ihren Tee bekommen, als eine junge Frau in einem T-Shirt mit der Aufschrift Whatever an ihren Tisch trat und verkündete, die Crew sei jetzt bereit. Claire winkte

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