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Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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Zweiten Weltkriegs, als es über London Bomben regnete, als die tapferen Londoner kaum das Allernötigste zum Überleben hatten und Nacht für Nacht zusammengedrängt in feuchten Luftschutzkellern ausharrten, als die Menschen sich nach Apfelsinen sehnten und Hitler verfluchten und das Ende der Verwüstung herbeibeteten, da war Dorothy eine von ihnen gewesen. Sie hatte Nachbarn gehabt und Freunde, sie hatte Essensmarken gegen Eier eingetauscht und war überglücklich gewesen, wenn sie hin und wieder ein Paar Seidenstrümpfe ergattern konnte. Und mitten in all den Wirren hatte sich ihr Weg mit dem von Vivien und Henry Jenkins gekreuzt. Vivien, die ihre Freundin wurde, die sie später wieder verlieren würde, und Henry Jenkins, ein Mann, den sie später töten sollte.
    Irgendetwas Schreckliches war zwischen den dreien vorgefallen – es war die einzig mögliche Erklärung für das scheinbar Unerklärliche –, etwas so Grauenhaftes, dass es ihre Mutter schließlich zu einer Gewalttat getrieben hatte. Laurel war entschlossen, in der kurzen Zeit, die ihrer Mutter noch blieb, herauszufinden, was dieses schreckliche Etwas gewesen war. Womöglich würde ihr nicht gefallen, was sie herausfand, aber dieses Risiko war sie bereit auf sich zu nehmen. Sie hatte keine andere Wahl.
    »Eine letzte Frage, Ms. Nicolson«, sagte Mitch. »Vergangene Woche haben wir uns über Ihre Mutter Dorothy unterhalten. Sie sagten eben, Ihre Mutter sei eine sehr willensstarke Frau. Sie hat den Krieg überlebt, sie hat ihre ganze Familie bei einem Bombenangriff verloren und noch einmal von vorn anfangen müssen. Glauben Sie, dass Sie die Stärke Ihrer Mutter geerbt haben? Ist es diese Stärke, die Sie befähigt hat, in einem bekanntlich harten Geschäft nicht nur zu überleben, sondern Erfolg zu haben?«
    Diesmal hatte sie ihren Text parat. Ihr Timing war perfekt, als sie antwortete: »Meine Mutter war eine Überlebenskünstlerin; das ist sie immer noch. Wenn ich auch nur die Hälfte ihres Muts geerbt habe, kann ich mich sehr glücklich schätzen.«
     

Teil 2
    •
    Dolly

11
    London, Dezember 1940
    N icht so grob, Mädel, nicht so grob, verflixt noch mal!« Die alte Frau schlug mit dem Griff ihres Gehstocks neben sich auf die Matratze. »Ich bin eine Dame und kein Acker gaul, den man beschlagen muss – ist das denn so schwer zu begreifen?«
    Dolly lächelte freundlich und rückte ein Stückchen weiter nach unten auf dem Bett, um sich in Sicherheit zu bringen. Es gab einiges, was ihr an ihrer Arbeit nicht besonders gefiel, aber wenn man sie gefragt hätte, was das Unangenehmste an ihrer Stellung als Gesellschafterin von Lady Gwendolyn Caldicott war, hätte sie ohne zu überlegen geantwortet: der alten Frau die Zehennägel zu schneiden. Die wöchentliche Prozedur schien bei ihnen beiden die jeweils schlechteste Seite zum Vorschein zu bringen. Aber es war nun mal notwendig, und Dolly erledigte ihre Aufgabe ohne zu murren. (Später allerdings, wenn sie mit Kitty und den anderen im Wohnzimmer zusammensaß, beschrieb sie ihre Qualen so plastisch, dass sie alle Tränen lachten.)
    »So, fertig«, sagte sie, schob die Feile in das Etui und rieb sich den Staub von den Fingern. »Perfekt.«
    »Mmmh.« Lady Gwendolyn rückte ihren Turban zurecht, wobei ein langes Stück Asche von ihrer Zigarette fiel, die sie vergessen hatte aus der Hand zu legen. Ihr Blick wanderte an ihrer Nase entlang über ihren in ein Meer aus dunkelrotem Chiffon gehüllten Körper zu ihren kleinen, frisch pedikürten Füßen, die Dolly hochhielt, damit Ihre Ladyschaft sie begutachten konnte. »Tja, das muss wohl reichen«, sagte sie und brummte etwas über die guten alten Zeiten, als man noch eine richtige Zofe hatte.
    Dolly setzte ein Lächeln auf und ging, um die Zeitungen zu holen. Es war jetzt etwas mehr als zwei Jahre her, dass sie aus Coventry fortgegangen war, und das zweite Jahr hatte sich schon wesentlich besser gestaltet. Sie war ja so naiv gewesen, als sie hergekommen war – Jimmy hatte ihr geholfen, ein kleines Zimmer (in einem besseren Stadtteil als seinem, hatte er grinsend bemerkt) und eine Stelle als Verkäuferin in der Kleiderabteilung des Kaufhauses John Lewis zu finden, und dann war der Krieg ausgebrochen, und Jimmy war fortgegangen. »Die Leute wollen Geschichten von der Front hören«, hatte er ihr erklärt, bevor er nach Frankreich aufbrach. Sie hatten am Serpentine-See im Hyde Park gesessen, er ließ Papierschiffchen schwimmen, während sie missmutig rauchte.

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