Die verlorenen Spuren: Roman (German Edition)
Beitrag dazu leisten. Nicht nur das, sie wollte ihnen als leuchtendes Beispiel dienen, und sie wollte Vivien helfen, die das Ganze organisierte.
Beim letzten Treffen war viel darüber gesprochen worden, was jetzt, seit die Bombenangriffe zugenommen hatten, alles gebraucht wurde – Verbandzeug, Spielsachen für obdachlose Kinder, Schlafanzüge für die Soldaten in den Lazaretten –, und Dolly hatte versprochen, eine ganze Ladung alte Kleider zu beschaffen, die zerschnitten und neu verarbeitet werden konnten. Während die alten Frauen sich darüber stritten, wer die beste Näherin war und welches Schnittmuster sie für Stoffpuppen benutzen sollten, hatten Dolly und Vivien einen verschwörerischen Blick ausgetauscht und still an ihren Nähmaschinen gearbeitet, leise miteinander geredet, wenn sie mehr Garn oder noch ein Stück Stoff brauchten, und versucht, das Geschnatter um sie herum zu ignorieren.
Es hatte Spaß gemacht, auf diese Weise den Nachmittag zusammen zu verbringen; es war einer der Gründe gewesen, warum Dolly sich dem Freiwilligendienst angeschlossen hatte (und die Hoffnung, dass es sie davor bewahren würde, zur Arbeit etwa in einer Munitionsfabrik verpflichtet zu werden). Denn so wie Lady Gwendolyn sich neuerdings an Dolly klammerte – sie weigerte sich, Dolly mehr als einen Sonntag pro Monat freizugeben –, und so wie Vivien in ihrer Rolle als Ehefrau und als Organisatorin des Freiwilligendienstes eingespannt war, hatten sie sonst fast keine Möglichkeit, sich zu treffen.
Dolly arbeitete flink. Sie begutachtete gerade eine ziemlich unscheinbare Bluse und fragte sich, ob der Dior-Schriftzug im Saum das gute Stück davor bewahren würde, zu Verbandzeug verarbeitet zu werden, als ein Poltern im Untergeschoss sie zusammenzucken ließ. Eine Tür wurde zugeschlagen, dann rief die Köchin nach der jungen Frau, die nachmittags kam, um beim Saubermachen zu helfen. Dolly warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war fast drei; Zeit, die schlafende Bärin zu wecken. Sie verschloss die Hutschachtel, versteckte sie wieder ganz hinten im Wandschrank, glättete ihren Rock und wappnete sich für den Nachmittag, den sie und Lady Gwendolyn wie immer mit Kartenspielen verbringen würden.
»Noch ein Brief von deinem Jimmy«, sagte Kitty und wedelte mit dem Umschlag, als Dolly am Abend ins Wohnzimmer kam. Sie saß im Schneidersitz auf der Chaiselongue, neben ihr Betty und Susan, die in einer alten Ausgabe der Vogue blätterten. Schon vor Monaten hatten sie zum Entsetzen der Köchin den Flügel zur Seite geschoben, um Platz zu schaffen, und Louisa, die Vierte im Bunde, war gerade dabei, nur mit Unterrock bekleidet, ihre Gymnastikübungen auf dem Perserteppich zu machen.
Dolly zündete sich eine Zigarette an, ließ sich in den alten Ledersessel fallen und zog die Beine unter sich. Der Ohrensessel war ihr Stammplatz. Niemand sprach es aus, aber Dollys Stellung als Lady Gwendolyns Gesellschafterin verlieh ihr in dem kleinen Haushalt einen gewissen Status. Sie war nur einen oder zwei Monate früher in das Haus Campden Grove Nr. 7 eingezogen, aber die anderen wandten sich stets an sie, wenn sie Fragen hatten, die den Haushalt betrafen. Anfangs hatte sie dar über gelacht, aber inzwischen fand sie das Verhalten der anderen vollkommen selbstverständlich und angebracht.
Die Zigarette zwischen den Lippen, riss sie den Umschlag auf. Der Brief war kurz, flüchtig hingekritzelt. Jimmy schrieb oft im Stehen oder eingezwängt in einem überfüllten Truppentransporter. Dolly überflog die Zeilen rasch auf der Suche nach den wichtigen Informationen: Jimmy hatte irgendwo im Norden Kriegsschäden fotografiert, er war für ein paar Tage in London und wollte sie unbedingt sehen – ob sie am Samstagabend ein paar Stunden freihabe? Dolly konnte sich kaum halten vor Freude.
»Da hat wohl jemand gute Nachrichten erhalten«, bemerkte Kitty. »Los, erzähl schon, was schreibt er?«
Dolly hielt die Lider gesenkt. Der Brief enthielt keinerlei pikante Details, aber es konnte nicht schaden, die anderen darüber im Ungewissen zu lassen, vor allem Kitty, die ständig mit schlüpfrigen Details über ihre neuesten Eroberungen aufwartete. »Es ist persönlich«, sagte sie schließlich und setzte für alle Fälle noch ein geheimnisvolles Lächeln auf.
»Spielverderberin.« Kitty schmollte. »Einen feschen Piloten für dich allein zu behalten! Wann lernen wir ihn mal kennen?«
»Ja«, sagte Louisa, die Hände in die Hüften gestemmt, während sie den
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