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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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Sie kicherte und tuschelte mit ihren Freundinnen, als wäre nichts geschehen.
    »Lieber nicht«, meinte Alex. »Aber sag ihr vielen Dank.«
    »Bist du sicher?«, fragte Bri.
    Alex grinste. »Ganz sicher«, sagte er. »Aber trotzdem danke. Und viel Spaß.«
    Er war froh, dass seine Schwestern ihre Freundinnen getroffen hatten. Dann würden sie den schulfreien Montag alle sicher etwas leichter ertragen. Aber genauso froh war er, mal ein Weilchen allein zu sein.
    Er nutzte die Zeit, um in der Upper West Side herumzuschlendern, ohne ein bestimmtes Ziel. Inzwischen waren auch wieder mehr Leute auf der Straße, aber sie wirkten ebenso benommen wie er.
    Als Alex gerade zu der Überzeugung gelangte, dass kein Geschäft je wieder aufmachen würde, stieß er auf einen Haushaltswarenladen, der geöffnet hatte. Der Anblick der Normalität traf ihn fast wie ein Schlag: Farbeimer, Schraubendreher, Klebeband, alles fein säuberlich aufgestapelt.
    Irgendwo dazwischen entdeckte Alex zwei Taschenlampen. Falls der Stromausfall andauerte, konnte eine extra sicher nicht schaden.
    »Dreißig Dollar«, sagte der Mann hinter dem Ladentisch.
    »Dreißig Dollar?«, wiederholte Alex. »Für eine Taschenlampe?«
    »Das sind meine beiden letzten«, sagte der Mann. »Angebot und Nachfrage. Die letzte verkaufe ich dann für vierzig.«
    Alex legte die Taschenlampe wieder weg. Sie würden auch ohne zurechtkommen. Aber an der Tür drehte er sich plötzlich noch einmal um. »Batterien«, sagte er. »Haben Sie Batterien?«
    »Die sind aber auch nicht geschenkt«, sagte der Mann.
    Alex zückte sein Portemonnaie. Er hatte zweiundfünfzig Dollar. »Ich brauche Größe C und D.«
    Der Mann suchte hinter dem Ladentisch herum. »Ich habe hier eine Viererpackung Größe C, zwanzig Dollar«, sagte er. »Und eine Zweierpackung Größe D, zehn.«
    Zu essen hatten sie genug, überlegte Alex, jede Menge Konservendosen, und wenn am Dienstag die Schule wieder losging, war auch fürs Mittagessen gesorgt. Aber wer konnte schon sagen, wann es wieder Strom geben würde?
    »Ich nehme sie«, sagte er und reichte einen Zehner und einen Zwanziger über den Ladentisch.
    Der Mann steckte die Batterien in eine Tüte. »Du wirst es nicht bereuen«, sagte er. »Der Nächste, der kommt, zahlt das Doppelte.«
    Da wette ich drauf, dachte Alex. Aber das soll nicht mein Problem sein.
    Während er die Wohnungstür aufschloss, bemerkte er, wie still es drinnen war. Bei sechs Personen in einer Fünfzimmerwohnung war eigentlich immer jemand zu Hause. Und selbst wenn alle schliefen, hörte man immer noch den Straßenlärm, die vorbeifahrenden Autos, ihr Hupen, das Lachen oder Rufen von Passanten. Die Waschmaschinen und Trockner in der Waschküche im Keller rumorten bis weit nach Mitternacht, und im Winter übertönte der Ölbrenner, der das ganze Gebäude beheizte, jedes andere Geräusch.
    Aber heute war es sogar in der West 88 th Street ganz still. Still wie in einem Grab, fand Alex.
    Er setzte sich aufs Sofa. Jetzt, wo seine Schwestern ihn nicht sehen konnten, war eigentlich der beste Zeitpunkt zum Weinen gekommen. Er wusste, dass Weinen keine Schande war. An dem Tag, als Carlos ins Ausbildungslager gefahren war, hatte sein Vater hemmungslos geschluchzt. Und er selbst hatte noch vor ein paar Tagen geweint, als er von Nanas Tod erfuhr. Aber jetzt konnte er nicht weinen. Vielleicht war es einfach zu still zum Weinen.
    Er fand das Transistorradio, steckte die passenden Batterien hinein und drehte am Regler, bis er einen New Yorker Sender fand. Er war froh, dass wenigstens einer noch sendete, auch wenn die Nachrichten allesamt grauenvoll waren.
    »Für die Suche nach vermissten Angehörigen wurde eine Telefon-Hotline eingerichtet«, sagte eine Frauenstimme. »Wer seit Mittwochabend ein Familienmitglied vermisst, kann unter der Rufnummer 212–555–2489 Informationen einholen. Ich wiederhole: 212–555–2489 .«
    Eine Telefonnummer. Sollte das bedeuten, dass das Telefon wieder funktionierte? Alex schaltete das Radio aus und nahm den Telefonhörer ab. Tatsächlich, es war ein Freizeichen zu hören.
    Mit zitternden Händen wählte er die Nummer des Krankenhauses. Vielleicht würde er in wenigen Augenblicken erfahren, ob seine Mutter am Leben und wohlauf war. Er stellte sich vor, wie Bri und Julie reagieren würden, wenn er ihnen die Nachricht überbrachte.
    »Hier ist das Krankenhaus St. John of God. Für Patienten-Informationen drücken Sie bitte die 1 …«
    Alex drückte die Nummer für

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