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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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Totenmesse gelesen.
    Alex verließ die Kirche und wanderte ziellos umher, bis er schließlich auf der Amsterdam Avenue landete. Ein paar Autos huschten Richtung uptown vorbei. Alex lief die zwei Blocks bis zu Joey’s Pizza . Die Tür war verriegelt, aber durchs Fenster entdeckte er Joey hinter dem Tresen. Alex klopfte an die Scheibe und winkte, als Joey aufsah.
    Joey schloss die Tür auf. »Schön, dich zu sehen«, sagte er. »Ich wollte dich anrufen, aber das Telefon funktioniert ja nicht.«
    »Ich weiß«, sagte Alex. »Willst du wieder aufmachen?«
    Joey schüttelte den Kopf. »Der Ofen geht zwar noch«, sagte er, »aber der Kühlschrank nicht. Ich musste den ganzen Käse wegschmeißen. Und ohne Käse keine Pizza.«
    »Ab Montag soll’s wieder Strom geben«, sagte Alex.
    »Das behaupten sie jedenfalls«, meinte Joey. »Aber was, wenn nicht? Und wenn das Telefon nicht funktioniert? Die meisten Leute bestellen doch per Telefon. Nein, ich bin erledigt. Die großen Ketten werden’s schaffen. Ein bisschen Schmiergeld an der richtigen Stelle, und schon kriegen sie alles, was sie brauchen. Aber wir kleinen Leute, wir sind weg vom Fenster.«
    »Dann habe ich jetzt wohl keinen Job mehr«, sagte Alex.
    »Ich auch nicht«, sagte Joey. »Meine Frau liegt mir schon in den Ohren, dass wir weggehen sollen. Sie glaubt, dass das alles hier nur der Anfang ist.«
    »Glaubst du das auch?«, fragte Alex. »Aber die Wissenschaftler arbeiten doch sicher längst an einer Lösung. Und die Regierung. Wenn es erst wieder Strom gibt, sieht doch alles nur noch halb so schlimm aus.«
    Joey schüttelte den Kopf. »So schnell gebe ich eigentlich nicht auf, aber meine Frau hat natürlich nicht ganz Unrecht«, erwiderte er. »Diese Flutwelle Mittwochabend war ja keine einmalige Sache, wie ein Tsunami oder so. Gezeiten gibt es zweimal am Tag, das ganze Jahr hindurch. Und bei Vollmond sind die dann echte Killer.«
    »Aber dann müssen doch bloß die Leute an der Küste wegziehen«, sagte Alex und versuchte, ruhig und sachlich zu klingen und nicht an seinen Vater zu denken. »Der Großteil von New York City liegt im Inland. Hier kommen die Wellen doch gar nicht an.«
    »Das habe ich meiner Frau auch erklärt«, sagte Joey. »Aber sie meint, das Wasser würde die Stadt unterhöhlen, und dann würde alles zusammenbrechen. Die Frage ist nur, wie lange das dauert. Wochen, Monate oder Jahrhunderte.«
    Alex lächelte. »Ich bin für Jahrhunderte«, sagte er. »So schnell bricht das Empire State Building schon nicht zusammen.«
    »Erzähl das meiner Frau«, sagte Joey. »Aber ich weiß trotzdem nicht, wie ich jetzt den Laden weiterführen soll, und ich weiß auch nicht, was ich sonst machen könnte – außer vielleicht Leichenbestatter werden. Aber wo du schon mal hier bist, sollten wir gleich abrechnen. Wann habe ich dich zuletzt ausbezahlt?«
    »Letzten Freitag«, sagte Alex. »Danach habe ich noch den ganzen Samstag gearbeitet, am Montag und Dienstag jeweils drei Stunden und am Mittwoch vier.«
    »Stimmt«, meinte Joey. »Du warst ja auch hier, als das Fernsehen ausfiel. Ich weiß bis heute nicht, ob die Yankees gewonnen haben. Dann sind also noch achtzehn Stunden offen. Hast du dein Trinkgeld eingesteckt?«
    Alex nickte.
    »Hier, nimm das«, sagte Joey und reichte Alex ein Bündel Scheine. »Mehr hab ich nicht dabei.«
    Alex zählte das Geld. »Zu viel«, sagte er und hielt Joey einen Zehndollarschein hin.
    Joey schüttelte den Kopf. »Behalt es«, sagte er. »Ich hab noch Bargeld zu Hause.«
    »Vielen Dank«, sagte Alex. »Wenn du wieder aufmachst, kann ich ja ein paar Stunden umsonst arbeiten.«
    »Abgemacht«, sagte Joey. »Und pass auf dich auf, Alex. Du bist ein guter Kerl und der beste Mitarbeiter, den ich je hatte. Jungs wie du, ihr seid die Zukunft. Erst recht in Zeiten wie diesen. Bete für uns, wenn du schon mal dabei bist. Für uns alle.«
    Alex nickte. »Mach ich«, sagte er. »Bis bald, Joey.«
    »Hoffentlich«, sagte Joey. »Auf bessere Zeiten.«
    »Auf bessere Zeiten«, erwiderte Alex. Was ihn betraf, so konnte er es kaum erwarten.
    Sonntag, 22 . Mai
    Sehr zu Alex’ Erleichterung hatte Pater Franco bei dieser Messe keine Ankündigungen vorgelesen. Nach dem Gottesdienst standen Briana und Julie noch mit ein paar Freundinnen zusammen, und ein paar Minuten später kam Bri zu ihm herübergerannt.
    »Kaylas Mutter hat uns zum Mittagessen eingeladen«, sagte sie. »Du kannst auch gern kommen, hat sie gesagt.«
    Alex sah zu Julie hinüber.

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