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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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Julies Gesichtsausdruck sah, wusste er sofort, dass dieses ohnehin schon gefürchtete Wochenende ein besonders schlimmes zu werden drohte. So hatte er Julie nicht mehr erlebt, seit ihr der Garten erfroren war.
    »Was ist los?«, fragte er. »Ihr habt doch was zu essen bekommen, oder?«
    Julie nickte.
    Alex betete um Nachsicht und Geduld. Am Montag würde er nachschlagen, wer der Schutzheilige der Langmut war. Er konnte eine Extraportion davon gebrauchen.
    »Ich seh doch, dass irgendwas passiert ist«, sagte er. »Willst du’s mir nicht erzählen?«
    »Es wird dir nicht gefallen«, sagte Julie.
    Alex schnaubte verächtlich.
    »Lass das«, schrie Julie. »Immer tust du so, als wäre ich an allem schuld. Bri macht nie etwas falsch, nur ich, das ist doch echt bescheuert.«
    »Wie bitte?«, rief er aufgebracht. »Ich frage einfach nur, was passiert ist, und du machst mich hier gleich zum Buhmann?«
    »Wenn du mich anschreist, sage ich überhaupt nichts mehr«, erwiderte Julie.
    »Auch gut«, sagte Alex. »Dann eben nicht. Mir doch egal.«
    »Ich wünschte, Carlos wäre hier«, sagte sie.
    »Ich auch«, sagte Alex. Und Mamá und Papá und Onkel Jimmy und Tante Lorraine und all die anderen Erwachsenen, die wussten, wie man mit Julie fertigwurde.
    Er blickte auf seine kleine Schwester hinunter. Fünf Stunden lang hatte sie mit ihm und Kevin in der Kälte ausgeharrt, ohne zu jammern oder zu klagen, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Irgendetwas Schlimmes musste passiert sein, und Alex mit seiner schlechten Laune hatte sie gar nicht erst zu Wort kommen lassen.
    »Tut mir leid«, sagte er, obwohl er nicht hätte erklären können, was genau ihm eigentlich leidtat. Die Liste wäre zu lang geworden. »Erzähl’s mir einfach, wenn du so weit bist.«
    »Manchmal wäre ich lieber Bri«, sagte Julie. »Ich meine, dann wäre ich diejenige, die weg war und die jetzt krank ist, und ich weiß, dass du sie lieber magst als mich, und es tut mir leid, dass du immer nur mich am Hals hast, obwohl du lieber etwas mit ihr machen würdest.«
    Eigentlich hätte er Julie jetzt versichern müssen, dass er sie ganz genauso gernhatte wie Bri, aber das wäre zwecklos gewesen. Julie wusste es sowieso besser. Schließlich hatte er dreizehn Jahre lang dafür gesorgt, dass sie es besser wusste.
    »Wir müssen nun mal miteinander auskommen«, sagte er. »Dir wäre es ja auch lieber, wenn ich Carlos wäre.«
    »Holy Angels wird geschlossen«, platzte Julie auf einmal heraus.
    Alex erstarrte mitten in der Bewegung. Er schloss die Augen und betete, dass er Julie missverstanden hatte.
    »Heute war der letzte Tag«, fügte sie hinzu.
    »Seit wann weißt du das schon?«, fragte er, als spielte das noch irgendeine Rolle.
    »Am Montag haben sie es uns gesagt«, antwortete Julie. »Ich hatte Angst, es dir zu erzählen. Ich wusste, dass es dir nicht gefallen würde.«
    »Stimmt, es gefällt mir auch nicht«, sagte Alex. »Aber wenn du mir rechtzeitig Bescheid gesagt hättest, hätte ich vielleicht noch mit Schwester Rita sprechen können. Haben sie euch denn gesagt, wo ihr stattdessen hingehen sollt?«
    »Nicht sauer sein«, flehte Julie. »Ich kann doch nichts dafür. Wirklich.«
    »Nun sag schon«, drängte Alex. Hauptsache, sie würde dort ein Mittagessen bekommen.
    »Zur Vincent de Paul«, flüsterte Julie.
    »O Gott«, sagte Alex. Damit würde er auch noch seine letzte Zuflucht verlieren.
    »Ich muss aber nicht unbedingt zur Schule gehen«, sagte Julie. »Bri geht schließlich auch nicht hin. Wenn du willst, bleibe ich mit ihr zu Hause, dann könnten wir zusammen lernen. Und das Mittagessen lasse ich ausfallen. Das macht mir nichts aus, wirklich.«
    Alex dachte an jenen Abend zurück, als er bei Joey die Pizza in Stücke geschnitten hatte und seine größte Sorge gewesen war, ob er Herausgeber der Schülerzeitung werden würde, und sein größter Traum, ein Vollstipendium für Georgetown zu ergattern. Kaum zu glauben, dass er sich damals darüber geärgert hatte, nur stellvertretender Sprecher seines Jahrgangs zu sein. War er wirklich mal so jung gewesen, und so dumm?
    »Das wird schon gehen«, sagte er zu seiner Schwester, denn diese Antwort hatte sie verdient. »Ist doch eigentlich sogar ganz praktisch. Dann muss ich dich nicht mehr extra zur Schule bringen und abholen. Und dir wird es bei uns gefallen. Kommen die Schwestern auch zu uns rüber, oder macht ihr bei uns im Unterricht mit?«
    »Ein paar kommen mit«, sagte Julie. »Bei uns waren

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