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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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ins Kloster ginge. Und Julie würde wahrscheinlich noch auf der Highschool jemanden kennenlernen und schwanger werden, genau wie Mamá.
    Alex aß den letzten Bissen seiner Kürbiscreme und grinste. Hätte ihm jemand vor sieben Monaten erzählt, er würde von einer Zukunft träumen, in der seine kleine Schwester ein Kind bekam, bevor sie achtzehn wurde, und in der er arbeiten gehen müsste, statt zu studieren, wäre er bestimmt fuchsteufelswild geworden. Aber jetzt hörte sich das an wie der Himmel auf Erden.
    Anscheinend war an diesem Nachmittag die gesamte Restbevölkerung der Upper West Side zur Kirche gekommen. Wer von den Lehrkräften der Vincent de Paul und der Holy Angels High School noch übrig war, saß lachend um einen Tisch versammelt. An einem anderen hockte Harvey und mümmelte sein Essen. Aber nicht einmal ihn konnte Alex heute hassen. Er fand das Leben ausnahmsweise einmal zu schön, um wütend zu sein.
    Auf dem Heimweg, auf Höhe der 90 th Street, hörten Alex und seine Schwestern plötzlich Rufe und Lärm.
    »Was ist das?«, fragte Julie, und Alex sah, wie sie sich sofort verkrampfte.
    Bri machte ein verblüfftes Gesicht. »Das klingt irgendwie fröhlich«, sagte sie. »Hört ihr das? Ich glaube, die lachen.«
    Der Gedanke, es könnte hier irgendwo Menschen geben, die fröhlich waren und lachten, war so unvorstellbar, dass sie ihre Angst verloren und auf die Geräusche zugingen. Und tatsächlich, an der Ecke 90 th Street und Columbus Avenue spielten ungefähr ein Dutzend Männer Touch Football.
    Einer von ihnen entdeckte die drei Neuankömmlinge. »Kommt her«, rief er. »Wir könnten noch ein paar Spieler gebrauchen.«
    Alex zeigte auf seine Schwestern. »Und was sollen die beiden hier machen?«, fragte er.
    »Cheerleader«, rief der Mann zurück.
    »Au ja!«, sagte Julie. »Bitte, Alex, dürfen wir?«
    Alex schaute seine Schwestern an. Die Hälfte der Footballspieler hustete schon wegen der verschmutzten Luft. Bri durfte eigentlich auf keinen Fall länger draußen bleiben. Andererseits hatten die beiden seit Julies Geburtstag nicht mehr viel Freude gehabt.
    »Ein paar Minuten«, sagte er. »Und Bri guckt nur zu.«
    »Ist gut«, sagte Bri, aber sie platzte trotzdem vor Aufregung. Die Mädchen gingen über die Straße und schlossen sich der Menge an.
    »Was wäre Thanksgiving ohne Football?«, sagte einer der Männer.
    »Aber Touch Football«, sagte ein anderer. »Keine Helme, kein Körperkontakt.«
    »Und auch keine Cowboys «, sagte der erste wieder. »Nur Jets gegen Giants .«
    »Bei uns fehlt noch einer!«, rief ein dritter. »Komm her, Junge, du bist ein Giant .«
    Und einen glorreichen Moment lang fühlte sich Alex tatsächlich wie ein Gigant.
    Dienstag, 29 . November
    Vor Thanksgiving hatte es an der St. Vincent de Paul Academy achtzehn Schüler im Abschlussjahrgang gegeben, jetzt waren es nur noch fünf. Alex nahm an, dass die meisten von ihnen am Tag zuvor mit dem Konvoi aufgebrochen waren.
    James Flaherty war einer von denen, die jetzt fehlten, und das machte Alex Sorgen. James’ Vater war Arzt, und Alex hatte gehofft, von ihm noch weitere Patronen für Bris Inhalator zu bekommen, wenn ihre verbraucht waren.
    Was soll’s, dachte er. Bis zu ihrer Abreise würden sie reichen, und dann kämen sie an einen Ort, wo es Ärzte und Krankenhäuser und Medikamente gab.
    Zwei Wochen noch. Wenn sie bis heute durchgehalten hatten, würden sie auch noch zwei Wochen länger durchhalten.

 
    FÜNFZEHN
    Donnerstag, 1 . Dezember
    Als er aufwachte, hatte er keine Ahnung, wie spät es war, aber er merkte, dass er fror. Er war es gewohnt zu frieren, aber das hier fühlte sich anders an.
    Er tastete auf dem Nachttisch herum, auf der Suche nach der Taschenlampe, und stieß dabei das halb volle Wasserglas um, das er immer dort stehen hatte. Aber es war kein Geräusch von verschüttetem Wasser zu hören.
    Er richtete die Lampe auf das Glas und sah, dass das Wasser darin zu Eis gefroren war. Offenbar war das Heizöl jetzt endgültig verbraucht.
    Ihm war klar gewesen, dass das irgendwann passieren würde, aber er hatte ziemlich viele Gebete darauf verwendet, dass es erst nach ihrem Auszug so weit wäre.
    »Hätte das nicht noch zwei Wochen warten können?«, fragte er.
    Hatte es offenbar nicht. Womit sich die Frage stellte, ob seine Schwestern, insbesondere Bri, jetzt noch so lange durchhalten würden.
    Widerstandslos ließ er sich von der vertrauten Welle der Panik überspülen und machte sich dann ans Nachdenken.

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