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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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Es waren nur noch zwölf Tage, und zumindest an einigen von ihnen würde es tagsüber Strom geben. Wenn es welchen gab, konnte Bri die Heizdecke und den elektrischen Heizkörper anmachen. Er und Julie wären sowieso in der Schule, und bisher gab es keinen Grund zu der Annahme, dass auch dort das Heizöl knapp wurde.
    Für den Rest des Tages, oder dessen, was hier so als Tag bezeichnet wurde, sollten sie zurechtkommen, wenn sie Pullover, Mäntel, Schals und Handschuhe anbehielten und mehrere Paar Socken übereinanderzogen. Das Gebäude würde sie trotzdem ein wenig vor der Kälte schützen. Es war schwer zu sagen, aber nach Alex’ Schätzung stieg die Temperatur draußen tagsüber meist auf ungefähr minus fünf Grad an und im Haus wäre es sicher nicht kälter, sondern eher wärmer.
    Nachts sah die Sache schon anders aus, aber zum Glück hatten sie noch ein paar Decken übrig behalten. Bisher hatte jedes der Mädchen in seinem eigenen Schlafsack geschlafen, aber mittlerweile waren beide so dünn, dass sie zusammen in einen passen würden, dann könnten sie sich auch noch gegenseitig wärmen. Er würde den zweiten Schlafsack übernehmen und hätte es dann ebenfalls wärmer. Julie würde ihren Schlafsack nur ungern abgeben, aber egal. Asthma war schließlich nicht ansteckend.
    Zu zweit in einem Schlafsack, mit Mantel und Schal und mehreren Decken darüber sollten sie es einigermaßen warm haben. Er selbst würde noch eine zusätzliche Decke mit in den Schlafsack nehmen, das musste reichen.
    Auch eine Kopfbedeckung würden sie jetzt brauchen. In 11 F hatten sie Skimasken gefunden, die sollten die Mädchen am besten auch tagsüber tragen, und er könnte sich einen Pullover um den Kopf wickeln, das würde schon gehen.
    Nur noch zwei Wochen, rief er sich in Erinnerung. Danach würden sie in einem Haus mit Heizung und Warmwasser wohnen. Elf Tage musste er sie noch am Leben erhalten, dann würde alles gut.
    Er trug die beiden Extradecken ins Schlafzimmer und breitete sie über seine schlafenden Schwestern. Morgen früh würde er ihnen die neuen Regeln erklären.
    Er leuchtete mit der Taschenlampe auf seine Armbanduhr: kurz nach fünf. Es war zwecklos, sich jetzt noch einmal hinzulegen, also zog er sich rasch an, zitternd vor Kälte, kniete sich vor das Kruzifix, das sie aus der alten Wohnung mitgenommen hatten, und betete um die Kraft, die er und seine Schwestern in den kommenden Tagen brauchen würden.
    Freitag, 2 . Dezember
    Die Schlange bei der Lebensmittelverteilung war ziemlich kurz geworden, aber es ging trotzdem kein bisschen schneller vorwärts. Julie hielt sich dicht neben Alex, wie sie das jetzt auch auf dem Weg zur Schule und zur Kirche immer tat. Kevin erzählte ihr Witze und schien ihr auch wirklich zuzuhören, wenn sie etwas sagte. Alex konnte sehen, wie sehr ihr das gefiel.
    Jeden Abend, wenn Alex sein Gebet sprach, dankte er Christus für Kevins Freundschaft. Er hätte auch Kevin selbst gern dafür gedankt, war aber ziemlich sicher, dass der das gar nicht hören wollte.
    »Wie geht’s dir denn so?«, fragte er Kevin stattdessen. »Und deiner Familie?«
    »Gut«, sagte Kevin. »Oder vielleicht eher: den Umständen entsprechend.«
    »Schön«, sagte Alex. »Und warm hast du’s auch?«
    »Hier und jetzt? Nein«, sagte Kevin.
    Alex lachte. »Ich meine, bei euch zu Hause«, sagte er. »Geht eure Heizung noch?«
    »Ja, klar«, sagte Kevin. »Sie haben uns kurz vor Thanksgiving in eine ZWE verlegt, da sind wir gut versorgt. Mom beschwert sich zwar, dass sie den Thermostat nie höher als achtzehn Grad stellen, aber bei achtzehn Grad ist wohl noch keiner erfroren.«
    »Was ist denn eine ZWE ?«, fragte Alex.
    Kevin machte ein verlegenes Gesicht. »Zugewiesene Wohneinheit«, sagte er. »Die gibt es für die Familien von unentbehrlichen Mitarbeitern; damit die Situation erträglicher wird, bis wir hier wegkönnen.«
    »Dafür muss man wahrscheinlich ein Level 6 sein«, meinte Alex.
    Kevin lachte. »Level 6 «, wiederholte er. »Heißt das nicht bloß, dass man sechs Stockwerke hochgehen kann, ohne einen Herzinfarkt zu kriegen? Wo hast du das denn her?«
    »Hab ich mal irgendwo aufgeschnappt«, antwortete Alex. »War wohl ein Missverständnis.«
    »Glaub ich auch«, sagte Kevin. »Und bei euch? Habt ihr’s noch warm?«
    »Klar, alles in Ordnung«, sagte Alex. »Ich hab mich nur gefragt, wie’s wohl deiner Mutter geht.«
    »Ihr fehlt unsere alte Wohnung«, sagte Kevin. »Wenn sie nüchtern genug ist, sich an sie zu

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