Die verlorenen Welten von Cronus
so lange, wie die Kühler des Schiffes wärmer als die Umgebung waren, und selbst kurzzeitige, durch Reibung verursachte Temperaturspitzen beeinträchtigten es kaum. Vor ihnen lag aber ein Flug von völlig anderer Natur. Die zulässige Belastung war bereits erreicht, bevor sie überhaupt in die Öffnung des Kraterrands eingeflogen waren, und innerhalb kürzester Zeit brach das Kühlsystem völlig zusammen. In Minutenschnelle schossen die Temperaturen in der Shellback nach oben und stiegen immer weiter. Die Luft war so heiß, daß sie in den Lungen schmerzte; an den Metalloberflächen verbrannte man sich die Finger.
Ancor war mit nacktem Oberkörper in seiner Liege festgeschnallt und bereute, daß er sein Hemd ausgezogen hatte. Die Metallschnallen der Gurte versengten seine ungeschützte Haut, und selbst das weiche Plastikmaterial der Liege fühlte sich wie kochendes Wasser an. Zudem hatte die Hitze die Computerschirme vor ihm außer Gefecht gesetzt. Sie informierten ihn nicht mehr über den Fortgang ihres Fluges oder die Temperaturen auf der Außenhülle, deren rotes Glühen durch die Sichtluken drang. Er halluzinierte, sah die Shellback als flammenden Meteor in den Himmel über der Boxa-Schale schießen und zerplatzen. Lediglich glühende Metalltropfen würden dann noch auf der Schale einschlagen.
Als die Temperaturen schließlich langsam sanken, zwang sich Ancor, die Lähmung, die die Hitze verursacht hatte, abzuschütteln und nach seiner Mannschaft zu sehen. Cherrys übliche bleiche Hautfarbe war einem unnatürlichen Rot gewichen, und er war bewußtlos, schien aber sonst unverletzt. Den übrigen war es besser ergangen: In den Rettungskokons waren die Temperaturen nicht bis ins Unerträgliche angestiegen, sie waren mit geringfügigen Verbrennungen davongekommen. Bald darauf nahmen auch die meisten Instrumente wieder ihre Tätigkeit auf. Endlich hatten sie die Außenseite der Boxa-Schale erreicht und konnten sich an die Lösung des großen Rätsels machen.
Cherry machte sich an den Ortern zu schaffen, und Ancor widmete sich dem Funkgerät, runzelte aber nach kurzer Zeit frustriert die Stirn, da er lediglich atmosphärische Störungen hereinbekam. Sine hatte inzwischen versucht, die Oberfläche optisch abzusuchen, war aber mangels Licht ebenfalls erfolglos geblieben. Alle drei gelangten gleichzeitig zu demselben Schluß:
Auf der Boxa-Schale gab es weder Proto-Sonnen noch Licht, noch Leben. Ihre lange Reise schien eine Zeitverschwendung gewesen zu sein.
Sie gingen auf eine niedrige Höhe, und Ancor nahm genauere Messungen vor. Die Atmosphäre stellte sich als atembar heraus, und die Temperaturen lagen in einem für Menschen geeigneten Bereich. Es gab keinen Grund, warum man auf der Boxa-Schale keine Bevölkerung ansiedeln sollte, vorausgesetzt, daß Proto-Sonnen Licht und Energie lieferten. Es schien, als ob Zeus, nachdem er eine gewaltige Anstrengung zum Bau der Schale unternommen hatte, ihrer müde geworden war und sich neuen Aufgaben gewidmet hatte, ohne sein Projekt zu vollenden.
Sie landeten kurz und untersuchten mit Hilfe der Außenscheinwerfer eine kleinere Fläche. Sie fanden lediglich Schlamm und Steine und einige niedere Pflanzenarten. Das Gefühl, betrogen worden zu sein, wurde immer stärker. Sie kehrten ins Schiff zurück und stellten Vermutungen darüber an, warum Zeus trotz des immer größer werdenden Bevölkerungsdrucks einen derart riesigen Lebensraum ungenutzt ließ. Die Schale bot Platz genug für eine Bevölkerung von etwa 30 Trilliarden Menschen, was dem Dreiundzwanzigfachen der Bevölkerung der Mars-Schale entsprach. Zeus mußte gute Gründe für sein Vorgehen haben, aber sie waren so schwer nachzuvollziehen wie jene, die den Riesencomputer veranlaßten, sie daran zu hindern, zur Boxa-Schale zu fliegen. Oder versuchte Zeus, den Beweis seines Scheiterns vor ihnen zu verbergen? Ein Kribbeln im Bauch sagte Ancor, daß die Antwort auf der Hand lag, aber egal, wie oft er die Daten durcharbeitete, er kam nicht darauf.
Kapitel 24
Sie hatten zwar versucht, möglichst parallel zu der Exis-Speiche zu fliegen, die von der Mars-Schale zur Boxa-Schale führte, aber da sie die Schalen nur durch den Zwischenraum einer Käfigwelt durchstoßen konnten, befanden sie sich ungefähr 15 Millionen Kilometer weit entfernt vom anvisierten Speichenterminal. Ihr Problem bestand jetzt darin, über eine erhebliche Entfernung hinweg ein winziges Ziel in unbekanntem Gelände zu finden – und dazu kam noch die
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