Die verlorenen Welten von Cronus
absolute Dunkelheit.
Sie beschlossen, den größten Teil der Distanz in der Exosphäre in ungefähr dreitausend Kilometern Höhe zurückzulegen und gleichzeitig die Schalenoberfläche genau im Auge zu behalten, so daß sie keine wichtigen Veränderungen in ihrer Beschaffenheit oder etwaige menschliche Siedlungen übersahen. Ancor benutzte zu diesem Zweck einen extrem lichtempfindlichen Sensor, dem selbst aus ihrer großen Höhe nicht einmal eine Kerzenflamme entgangen wäre. Sie flogen dreizehn Tage lang mit einer Geschwindigkeit von knapp fünfzigtausend Stundenkilometern, als die Instrumente anzeigten, daß sie sich dem Zielgebiet näherten.
Während des Fluges hatten sie keinen einzigen Hinweis auf eine Besiedlung der Schale gefunden: Die Sensoren hatten weder Lichter noch Funksprüche registriert, und die Infrarotorter zeigten immer dieselbe, gleichförmige Oberfläche an. Allerdings erwies sich das Klima alles andere als gleichförmig. Riesige Wolkenbänke wechselten sich mit gewaltigen Stürmen ab, die sich über Tausende von Kilometern erstreckten, und hin und wieder stießen sie auf breite Ströme und Überschwemmungen großen Ausmaßes. Irgend etwas mußte die riesigen Wassermengen verdampfen und in Wolken verwandeln, die dann wieder abregneten, aber Ancor konnte zumindest in dem Teil der Schale, den sie überflogen, keinen Auslöser ausfindig machen.
Das Fehlen der Proto-Sonnen stellte ein weiteres großes Rätsel dar. Die von Zeus vor Ort hergestellten Kunstsonnen fanden sich überall in den Umlaufbahnen der Schalen und Käfigwelten von Solaria, selbst wenn diese unbesiedelt waren. Die Nahrungskette, an deren Spitze sich der Mensch befand, war von jeher auf die Strahlen der Sonne oder ihrer künstlichen Schwestern angewiesen. Indem Zeus der Boxa-Schale das Licht vorenthielt, stellte er sicher, daß dort keine höheren Lebensformen als Flechten überleben konnten. Und welche Definition des Menschen man Zeus auch immer eingegeben haben mochte, Ancor war sich sicher, daß Flechten nicht darunter fielen.
Sie verringerten ihre Geschwindigkeit, gingen auf zweihundert Meter Höhe und begannen, das Zielgebiet abzusuchen. Sie mußten sich eingestehen, daß sie nicht genau wußten, wonach sie suchten, und auch nicht mit Sicherheit sagen konnten, ob die Speiche die Schale überhaupt durchdrang. Sie wußten nur, daß die Speiche sich nicht bis zur Saturn-Schale erstrecken konnte. Die Orter der Shellback arbeiteten jetzt auf Wellenlängen im nichtsichtbaren Bereich, aber der Computer bereitete die Ortungsergebnisse in für Menschen sichtbarer Form auf und zeigte sie auf seinen Schirmen an. Einige Stunden verstrichen, bis Sines scharfe Augen einen Hinweis entdeckten.
»Da unten, Maq! Ein regelmäßiges Zickzackmuster.«
Ancor, der das Muster übersehen hatte, wies Cherry an, langsam ihren Kurs zurückzuverfolgen. Dann sah er es selbst. Mit einem schnellen Handgriff vergrößerte er die Darstellung auf dem Schirm.
»Jetzt sehe ich es auch, Sine. Sieht aus wie ein umgefallener Turm aus Metall. Mein Gott! Das Ding muß ganz schön hoch gewesen sein, ich würde sagen, einige Kilometer hoch.«
»Was soll ein solcher Turm an einem gottverlassenen Ort wie diesem?«
»Ich weiß es nicht. Ah, da ist ja die Spitze! Irgend etwas sehr Heißes scheint von der Spitze gefallen zu sein. Es hat ein größeres Gebiet in gebrannten Ton verwandelt. Die einzige Erklärung, die mir dazu einfällt, ist eine Miniatur-Proto-Sonne, Sine.«
»Warum sollte man eine Proto-Sonne auf einem drei Kilometer hohen Turm anbringen, wenn man sie genausogut in einer Umlaufbahn aussetzen kann?«
»Vielleicht, weil man nur eine kleine Fläche beleuchten wollte. Cherry, flieg zum Sockel des Turms und beginne dort mit einem spiralförmigen Suchmuster. Ich glaube, wir sind da auf etwas gestoßen.«
Einige Zeit später kam das Terminalgebäude in Sicht. Die Widersprüchlichkeit des Anblicks befremdete Ancor. Die Anlage folgte demselben Muster wie die ihm bekannten Speichenterminals, die üblicherweise den Kern einer gewaltigen Metropole bildeten. Dieser Terminal befand sich aber mitten im Nichts, umgeben von Milliarden Quadratkilometern feuchten Ödlandes. Im Vergleich dazu lag der Ausgangspunkt der Exis-Speiche in der Nähe von Estabal auf der Mars-Schale in einem Gebiet, das geradezu vor Leben wimmelte.
Sie landeten so nahe wie möglich an dem Gebäude und suchten die Umgebung mit Hilfe der Bordscheinwerfer ab, ohne aber irgendein Lebenszeichen oder
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