Die Verlorenen
in ihrem Wesen doch völlig fremd waren, waren in sein Reich gekommen.
Sie würden es mit Zefrem teilen wollen. So er bereit war, sich ihnen anzugleichen.
Andernfalls würden sie es ihm streitig machen. Zweifelsohne mit Erfolg .
»Was ist?« drängte sein junger Freund.
»Laß uns ihnen folgen«, sagte der Alte.
»Was - nur folgen?« hakte Levar nach.
Zefrem nickte und erhob sich. Als die letzten der Sumpfkreaturen in der Nacht verschwunden waren - weit weniger, als Levar erwartet hatte -, liefen der uralte Untote und sein kleiner Freund los.
Zefrem glaubte die Schrecken, denen sie entgegen gingen, erahnen zu können.
Doch er irrte sich.
Er konnte es nicht.
*
Der Sturm in Lilith verebbte von einer Sekunde zur anderen.
In genau dem Moment, da sie den Blick zur Seite wandte und die Frau mit dem kurzen Haar zum ersten Mal richtig und länger als nur für eine Sekunde ansah - und schließlich anstarrte. So lange, bis auch die andere Frau den Kopf drehte.
Die Frau - die nicht Beth MacKinsay war.
Sondern Patsy Keenlan.
Lilith glaubte zu spüren, wie all ihre Kraft in ein endlos tiefes Loch gesogen wurde, das sich schlagartig in ihrem tiefsten Inneren aufgetan hatte und rasend schnell zu immenser Größe wuchs.
Närrin! brüllte jene Stimme in ihr, die sie vorhin so mühelos ignoriert hatte und die jetzt laut wie ein Paukenschlag von innen gegen ihre Ohren anbrandete.
»Ist irgend etwas? Ist Ihnen nicht gut?«
Patsy Keenlans Stimme hatte keine Ähnlichkeit mit der von Beth MacKinsay. Sie war tiefer, rauchig - sinnlich.
Liliths Züge gerannen zu einer Grimasse aus Enttäuschung, Scham und Bitternis.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie.
»Was?«
»Nichts, schon gut«, wehrte Lilith ab und fügte dann doch hinzu: »Ich habe sie mit jemandem verwechselt. Entschuldigen Sie.«
»Dafür brauchen Sie sich doch nicht entschuldigen«, meinte Patsy Keenlan.
Lilith sah starr nach vorne.
Wenn du wüßtest...
»Wohin fliegen wir eigentlich?« fragte sie dann lahm.
»Bitte?«
Lilith wiederholte ihre Frage und merkte erst dabei, wie albern sie war: Sie saß in einem startenden Flugzeug und gab vor, nicht zu wissen, wohin sie unterwegs war .
»Nach New Orleans«, antwortete Patsy Keenlan verwirrt.
Daß sie in ihrem Sitz zur Seite rückte, als wollte sie eine möglichst große Distanz zwischen sich und die seltsame Schwarzhaarige auf dem Nebenplatz bringen, mochte unbewußt geschehen.
Aber Lilith fühlte sich dadurch noch ein bißchen elender, als sie es ohnehin schon tat.
Es war trotzdem noch ein angenehmer Flug geworden.
Weil Patsy Keenlan das Schweigen, das zwischen ihr und der merkwürdigen Fremden wie eine Mauer stand, unangenehm geworden war und sie den ersten Schritt unternommen hatte, diese unsichtbare Wand zu durchbrechen. Auch die Hemmung, die von der seltsam düsteren Ausstrahlung der anderen verursacht wurde (und das lag nicht allein daran, daß sie ganz in Schwarz gekleidet war), überwand sie, als sie sagte: »Mein Name ist Patsy Keenlan.«
Lilith nickt und verkniff sich ihr »Ich weiß« gerade noch.
»Lilith Eden.«
»Ein selt.ener Name«, meinte Patsy.
Ihr Zögern entging der Halbvampirin nicht. Ein schwaches Lächeln bewegte ihre vollen Lippen.
»Seltsam . ich weiß«, seufzte sie.
»Mit wem haben Sie mich denn verwechselt?« wollte Patsy wissen, um die Unterhaltung in Fluß zu halten.
»Mit einer alten Freundin .«
Das Gespräch plätscherte dahin und geriet allmählich in tieferes Fahrwasser. Lilith hatte Mühe, von sich zu erzählen, ohne etwas zu sagen, das Patsy Keenlan dazu veranlassen konnte, das Bordpersonal zu bitten, die Spinnerin doch bitteschön aus der Maschine zu schmeißen - ohne Fallschirm, wenn's ginge.
Daß Lilith ein solcher Rauswurf nicht gefährlich werden konnte, zählte beispielsweise zu den Dingen, die sie für sich behalten mußte.
Und mit normalem Gesprächsstoff (Geburtsdatum, Schule, erste Ehe, letzte Scheidung und so weiter) konnte die hunderteinhalb-jäh-rige Halbvampirin kaum aufwarten.
Dafür erfuhr sie viel über Patsy Keenlan. Unter anderem, daß sie Beth MacKinsay über die Optik hinaus noch in einem anderen Punkt ähnelte.
Eine Ähnlichkeit, die nach der Landung in New Orleans dazu geführt hatte, daß Patsy die Reservierung ihres Einzelzimmers im Hotel »Maison De Ville« in die Belegung eines Doppelzimmers änderte. Und in der Folge dazu, daß Lilith nun das Bett in eben diesem Zimmer mit ihr teilte .
Patsy schlief.
Lilith beobachtete sie,
Weitere Kostenlose Bücher