Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regula Stämpfli
Vom Netzwerk:
Leistung und Kompetenz haben die meisten Marktgesetze in den westlichen Industriegesellschaften heutzutage nur noch am Rande etwas zu tun. So gibt es Bestimmungen, die mit nichts zusammenhängen müssen und dennoch perfekt weiterfunktionieren, wie beispielsweise Wertschöpfung ohne Leistung, oder Mehrwert ohne Kompetenz bei den zahlreichen Berühmtheiten. Deshalb arbeiten ja auch die Hedgefonds mit Regeln, die in meinen Augen völlig unethisch, mathematisch aber sauber sind. Haben Sie nicht auch schon über die Leerverkäufe an den Börsenplätzen gelacht? Leerverkäufe, hallo?

    Denken ist innerhalb der Zahlen möglich, doch verständlicherweise manchmal wie die Quadratur des Kreises. Denn die Zahlen
sind manchmal wirklich kompliziert. Sie werden auch bewusst komplex gehalten, weil ja zwischendurch jemand fragen könnte: Aber kann man das wirklich so berechnen? Und: Muss man das berechnen? Kann man das nicht einfach via Urteilskraft und menschlicher Erfahrung erklären? Nein.

    Zahlen sind sicher, Menschen nicht. Deshalb sind alle Menschen äußerst unsicher bezüglich ihrer Fähigkeit, das, was sie sehen, auch zu erklären und zu verändern. Sie können sich zudem immer weniger mit anderen Menschen darüber unterhalten. Denn so, wie die Welt gesehen wird, ist sie vielleicht gar nicht »wirklich«.

    So werden die Menschen mehr und mehr Teil eines Systems, einer Menge, die der einzigen Logik genügt, die »wirklich« gilt. Eine nicht-kommunikative, dafür instrumentelle und rechnerische Logik. Eine Logik, die gleichzeitig Allmacht und Ohnmacht verspricht. Die übrigens mit der Allmacht und Ohnmacht der fundamentalistischen Religionen identisch ist. Denn auch in diesen sind Menschen immer nur Teil eines Systems, das einzig und allein auf das Reich Gottes, auf Allah, Buddha oder Jahwe u. a. ausgerichtet ist. Sich eventuell über diese Logik zu unterhalten, ist an vielen Orten dieser Welt oft immer noch tödlich. Da sind Diskussionen mit Wissenschaftlern über die Allmacht der Vernunft in jedem Fall vorzuziehen, selbst wenn aufgrund der fixen Voraussetzungen hohe Hürden bestehen.

    Die modernen Unsicherheiten zeigen, dass der sprachlose, das heißt auch politisch nicht begleitete technische Fortschritt Dynamiken mit sich bringt, die der Menschheit menschliche, soziale, ökonomische und neuerdings auch klimatische Erschütterungen bisher nicht gekannten Ausmaßes bescheren.

    Sie sehen, das Teleskop hat es wirklich in sich! Seit über 500 Jahren ist die Welt so relativiert worden, dass wir als Menschen oft vergessen, was sie zusammenhält.

    Doch es kommt noch dicker.

    Da das Teleskop den Blick völlig unsicher gemacht hat, bleibt neben dem Verlass auf selbstredende Regeln und Zahlen nur noch ein Ausweg. Es ist der Blick nach innen: »Cogito ergo sum« ist also der nächste und viel bekanntere Satz Descartes’: »Ich denke, also bin ich«. Dass »ich bin« ist also sicher. Und seit Descartes hört die Innenschau nicht mehr auf. Hier beginnt die Singlegesellschaft der Moderne.

    Es ist zwar nicht wirklich viel tröstlicher als der omnipräsente Zweifel, aber immerhin: Ich bin da, weil ich noch denken kann, dass ich da bin –, während ich mir über die Welt diesbezüglich nicht sicher bin.

    Mit Descartes’ Zweifel wird gleichzeitig die Hierarchie des Denkens über das Fühlen und das Sprechen festgelegt. Denn die Sicherheit, zu sehen, zu fühlen, zu schmecken, zu sprechen, »was ist«, ist verschwunden. Die Fixpunkte – außer der des Rechnens – sind dahin. Die vor der Erfindung des Teleskops selbstverständlich geltenden Werte stehen nun auch zur Diskussion. Ist die Welt schon keine Scheibe mehr, wer sagt dann, dass der Mensch noch göttlich ist? »Göttlich« im Sinne von positiv menschlich? Vielleicht ist »göttlich« wie die »Scheibe«, die sich als rund herausstellt und auch kein Mittelpunkt des Weltalls ist. Mit dem Zweifel, mit der Hierarchie des Denkens, der Norm über Sprache und Menschliches stehen alle Werte zur Disposition. Die Werte verschwinden mehr und mehr, da sie immer nur als relativ gelten. Es gibt keine sprechenden und allgemeingültigen Werte mehr. Kurz, die Welt der Werte ist für immer verloren. Nicht nur das. Mit der obsessiven Innenschau werden alle Werte schließlich privatisiert. Als private Relation sind jedoch alle Werte gleich gültig.

    Leider fehlen hierzu die öffentlichen Diskussionen, doch immerhin zeugt die moderne Kunst immer wieder von dem Verlust
der menschlichen Werte

Weitere Kostenlose Bücher