Die Vermessung der Frau
der Pink-Manie, Barbie und Lillifee. Waren-Politik formt eben auch den Körper. Im 19. Jahrhundert hatten Frauen kleine Busen und eine enge Taille, im 17. Jahrhundert große Busen und große Hinterteile. Politik, Wirtschaft und Macht gestalten Körper und die dazugehörigen Wertvorstellungen
wie Bildhauer ihre Statuen. Wie bei einer self-fulfilling prophecy folgen Frauen den jeweils dominanten Schönheitsidealen, manifestieren sich Wünsche und Sehnsüchte eben auch im Körper. Wenn schon die Reagenzgläser mit der Produktion von Mädchen in Rosa gefasst werden, wenn schon Vierjährige Unterwäsche aus dem Playboysortiment angepriesen kriegen, erstaunt es nicht, dass Neunjährige als sexualisierte Warenprodukte das tun, worauf sie getrimmt werden: möglichst früh geschlechtsreif werden. Wird dieses jedoch in den hohen Wissenschaftsgremien diskutiert? Nein. Raten Sie mal, weshalb! Weil sie nicht den Balken im eigenen Auge sehen. Statt auf das Alter der Mädchen bei der einsetzenden Pubertät sollten die Vermesser eben auf die dominanten Kinderbilder und Vorstellungen zum Menschsein achten!
Dass ich mit meiner Analyse der Pornografisierung des weiblichen Babyzimmers nicht falsch liege, belegen leider die globalen Zahlen zur Sexindustrie. 2001 betrug laut Sabine Dusch der weltweite Umsatz der Sexindustrie schon 60 Milliarden Euro. Die Sexindustrie gilt als der Wachstumsmotor der Wirtschaft. Christina von Braun zitiert in ihrem Buch »Der Preis des Geldes« einen Untersuchungsbericht der Unicef zum Menschen- und Kinderhandel: »Für die Menschenhändler sind die gehandelten Frauen so gut wie Gelddruckmaschinen« (S. 405). Frauen und Kinder sind die neuen Rohstoffe für den nationalen und internationalen Handel.
Christina von Braun belegt über fast 500 Seiten, wie eng Wirtschaft, Finanzen und weiblicher Körper verflochten sind. Sie sind nicht einfach hässliche Begleiterscheinungen eines grundsätzlich guten Kapitalismus, sondern eigentlich konstitutiv für unser Wirtschaftssystem. Der menschliche Körper ist Tauschobjekt. Er ist eine der wichtigsten Waren im Finanzkapitalismus. Darüber wird nie gesprochen. Käufliche Sexualität hat dabei einen eigentlichen Währungsstatus. In einer Wirtschaft, die auf totem Geld beruht, eignet sich der menschliche Körper mit seiner Lebendigkeit und der Fähigkeit zur Reproduktion perfekt als Münze. »Die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung,
die sich zeitgleich mit der Ablösung des Geldes von materiellen Bindungen vollzog, stellte die ›befreite‹ Sexualität in den Dienst des Geldes.
Wie weit wir schon mitten in diesem Prozess stecken, zeigt das Beispiel einer Kandidatin für die »Miss America-Wahlen« 2012. Die 24jährige Allyn Rose machte bekannt, dass sie nach den Misswahlen (sie schied in der ersten Runde aus) ihre zwei Brüste entfernen lassen wollte. Genetisch durch Brustkrebs vorbelastet, sah sie in der Entfernung ihrer weiblichen Attribute kein Problem, da diese als potenzielle Krankheitsträger durchaus entfernt und plastisch rekonstruiert werden konnten. Im Gegensatz zu früheren Disziplinierungsmaßnahmen des Menschen, wie sie noch der französische Soziologe Michel Foucault eindrücklich beschrieb, ist nun eine Form der Naturbeherrschung angesagt, wie die menschliche Gesellschaft sie bisher noch nicht kannte. Es geht also mehr und mehr um die Herstellung von Natur, vom menschlichen Körper und nicht mehr nur um seine Disziplinierung. »Das Geld sucht seine ›lebendige‹ Beglaubigung nicht nur in der käuflichen Sexualität, sondern auch in käuflichen Kindern.« (Christina von Braun, Preis des Geldes, S. 403)
In seinem Roman »Doktor Faustus« lässt Thomas Mann den Teufel im Gespräch mit dem Tonsetzer Adrian Leverkühn sagen: »Liebe ist Dir verboten, insofern sie wärmt. Dein Leben soll kalt sein – darum darfst du keinen Menschen lieben.« Die Szene, in der Leverkühn dem Teufel seine Seele im Austausch gegen künstlerischen Erfolg verkauft, gehört zu den Höhepunkten der deutschen Literatur. Und der Teufel macht Ernst: Als Leverkühn eine zärtliche Zuneigung zu seinem kleinen Neffen entwickelt, stirbt das Kind an Meningitis.
Schon im Mai 2005 meldet die NZZ am Sonntag: »Erstes Designbaby in der Schweiz geboren.« Ein Mädchen wurde im Reagenzglas einzig zum Zweck »gezeugt«, um seinem todkranken Bruder das Leben zu retten. So berichteten es die begeisterten
Forscher, so rapportierten es die Zeitungen. Bei solchen Zeilen bricht die
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