Die Vermessung der Frau
mephistophelische Kälte durch. Denn Kinder, selbst wenn sie zu bestimmten Zwecken wie »Ehe stabilisieren«, »Torschlusspanik der Karrierefrau«, »Sinnsuche erfüllen« oder eben auch »Brüderchen am Leben erhalten«, gezeugt werden, sind immer mehr als Zweck. Sie sind Liebe und Leben, selbst wenn sie ohne Liebe oder gar nur als »Zweckleben« »gemacht« werden.
Doch mich irritiert noch sehr viel mehr der Ausdruck »Designbaby«. Er verkörpert ein Wertesystem, welches mit dem Wunsch, Krankheiten zu vermeiden oder zu heilen, nur noch wenig zu tun hat. Eltern wollen immer nur das Beste für ihre Kinder. Was, wenn ein Land, eine Kultur, ein Wirtschaftssystem plötzlich nur noch für gesunde, schöne und angepasste Menschen ein gutes Leben verspricht? Dann werden die Eltern alles tun, um jede Eigenschaft zu vermeiden, die als »nicht-schön«, »nicht-gesund« und »nicht-angepasst« gilt. Schauen Sie einmal nach China. Dort werden Hunderttausende von Mädchen schon im Mutterleib ermordet, weil weibliche Menschen im China der »Ein-Kind-Politik« ökonomisch und gesellschaftlich keinen Wert haben.
Jede Kultur bringt die Techniken und Wortspiele hervor, die ihr entsprechen. Insofern passt »Designbaby« und die dazugehörende Machart wohl ebenso zu den USA und Europa wie die Mädchenmorde zu China, Indien und Saudi-Arabien. Wir ahnen, welche Tugenden die Welt heute definieren. Respektive welche Tugenden fehlen, damit alle Menschen ein Recht auf Leben haben.
Geld kann sich eben vermehren, Menschen können sich vermehren, und so sind wir jetzt mitten im Prozess, dass beide Fortpflanzungsarten miteinander verbunden werden, wie dies die Kulturphilosophin Christina von Braun auf den Punkt bringt. So interpretieren wir mit der Kulturphilosophin den philosophischen Wandel, der sich auch im engen Zusammenhang
von In-vitro-Fertilisation und Finanzkapitalismus zeigt. Die medizinisch geförderte Reproduktion entspricht tatsächlich dem Bedürfnis von einzelnen Menschen, die über ihrem unerfüllten Kinderwunsch fast zugrundegehen. Der Wunsch, sich Menschen zu bestellen, entspricht aber auch der Logik des Geldes. Hier entstehen neue Märkte, die der Kapitalismus für sein Überleben immer wieder braucht. Die künstliche Fortpflanzung ist zum globalen Geschäft geworden, wobei der Eizellenmarkt und die Leihmutterschaft die lukrativsten Geschäftszweige ausmachen.
Kein Mensch würde bewusst Designbabies unter diesem Namen herstellen lassen wollen, und doch tun es viele Menschen in unserer technisierten und menschenunwürdigen Welt. Sie und ich haben Freundinnen, die sich schmerzhaften und teuren Hormonkuren unterzogen haben, um doch noch Nachwuchs mit ihrem langjährigen Freund zu bekommen. Wann immer ich auch nur ansatzweise die ethische und politische Dimension dieses individuellen Wunsches auch unter Freundinnen diskutieren wollte, wurde ich voll ausgebremst. Als Mutter von drei Kindern werden mir die Argumente verwehrt, weil ich ja zu den »Glücklichen« gehöre. So kann ich selbst im engsten Kreis die wichtige Frage nicht diskutieren, weshalb manche Paare wohl kinderlos bleiben. Denn die Antworten würden sowohl auf die steigende Vergiftung unserer Industrie als auch auf die seelische Komponente des Paares verweisen – beides Themen, die in unserer rationalen Machtwelt nicht mehr wirklich miteinander in Verbindung gebracht werden dürfen.
Der Geschichtsprofessor Philipp Sarasin beschreibt in seinem Werk »Reizbare Maschinen« den Prozess, welche die ursprüngliche Hygienebewegung über die Eugenik der Nationalsozialisten hin zur modernen Reproduktionstechnologie geschafft hat. In einem Interview mit dem Stern stellt Sarasin auch sehr nüchtern fest, dass das, was wir heutzutage praktizieren, in der historischen Perspektive noch als anstößig galt. Sprich, wenn
der Staat wie bei den Nationalsozialisten eine Selektion durchführt, entspricht dies einem menschenunwürdigen System. Wird die Selektion in der Präimplantationsdiagnostik von Individuen gewünscht, ist sie völlig ok. Wenn der Markt dasselbe tut wie ein totalitärer Staat, ist es eben nicht dasselbe.
Sehen Sie, wie uns das Nachdenken über die Vermessung der Frau in Abgründe führen kann? Diese auszuleuchten ist jedoch wichtig, weil bei oberflächlich geführten Frau-Mann-Diskussionen oft die Perspektiven aus dem Blick geraten und man sich an Detailproblemen wie beispielsweise einer Kopftuchdiskussion festbeißt und somit die Machtverhältnisse eher
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