Die Vermessung der Frau
und Gesundheitsindustrie.
Nun werde ich ganz ernst. Der Irrsinn, sich als erwachsene Frau als Konsumgut schönzuschneiden, tut zwar auch weh, ist aber immerhin die Entscheidung eines mündigen Menschen. Was indessen vor unseren Augen an Neugeborenen und Kleinkindern sowie Teenagern vollzogen wird, grenzt an ein von Geldgier angetriebenes »Menschenwürde-Vernichtungslager«. Mädchen zu Puppen herzurichten, geht zudem viel weiter als Mädchen nur mit Puppen spielen zu lassen.
Dass unsere Anpassung an vorgegebene Maße und Werte nicht erst im Erwachsenenalter beginnt, sondern schon in frühester Kindheit, zeigt eines der perfidesten Normierungswerkzeuge des 20. Jahrhunderts: Die Barbiepuppe.
Nirgendwo sonst zeigt sich der Fetischismus der Moderne besser als an dieser tippelnden Frauenfigur, die nur eine Karikatur,
eine hässliche Fratze des ehemals hehren Archetyps Frau ist. Entstanden ist Barbie ursprünglich in Deutschland Mitte der 50er Jahre als Figur »Bild-Lilli« nach der gleichnamigen Comicvorlage. Lilli war kess und schick, verdiente ihr eigenes Geld, ließ sich aber durchaus von wohlsituierten Herren die Urlaubskasse aufpeppen. Nach ihrer Transformation zu Barbie im reichen Amerika wurde sie endgültig zum Prototypen der konsumgeilen, langbeinigen Möchtegernprinzessin, die sie bis heute geblieben ist. Mit absurd langen Beinen, der Taille eines kleinen Mädchens und der Oberweite eines Boxenluders trat sie vom turbokapitalistischen Amerika aus ihren Siegeszug um die Welt an. Barbie darf ihre Bestimmung durchaus auch unter dem Tschador leben.
Millionen von Mädchen haben seither mit ihr gespielt, ohne zu merken, wie sehr sie schon als Kleinkind auf ein Klischeeabziehbild von moderner Frau getrimmt werden, das sie dann als Erwachsene ständig an sich selbst zweifeln lässt.
Barbie ist zwar kein unabwendbares Schicksal, aber wir werden sie trotzdem nicht mehr los. Denn je nach kulturellem und persönlichem Umfeld kann Barbie wie ein Nuklearunfall größte Verheerungen anrichten, sprich in dem Mädchen, das mit Barbie spielt, den Supergau der Selbstvernichtung oder Borderline verstärken. Barbie kann aber auch, wie Atomkraftwerke, jahrzehntelang umweltfreundliche Energie, sprich Transformation, Reflexion und Selbstbestätigung bei den mit ihr spielenden Frauen auslösen. Letzteres passiert aber leider nur sehr selten.
Ich habe selten derart heftige Diskussionen um Dinge geführt wie um die Nuttenfigur Barbie. Millionen von Frauen würden wohl eher Barbie vor meiner beißenden Kritik retten wollen als nur eine einzige Frau vor der Steinigung. Das zeigt, wie sehr Barbie den meisten Frauen nicht nur ans Herz gewachsen, sondern mittlerweile Teil der eigenen Identität geworden ist. Gewissen Techniken und Dingen sieht man das Zerstörungpotenzial eben nicht an. Und aufgrund der Verschränkung von
Menschen mit Dingen, die in archaischen Gesellschaften mit einem wahren Fetischismus gepflegt werden, während wir hierzulande nur einen unbewussten Warenfetischismus betreiben, sind die Bindungs- und Verteidigungskräfte gewisser Dinge nach wie vor stark.
Wenn also schon Puppen einen derart starken Einfluss auf unsere Psyche ausüben können, ist es durchaus verständlich, dass viele Frauen wie die Lemminge über die Klippe innerer Laufstege springen, wenn ihnen jeden Tag mantrahaft im Namen der Wissenschaft vorgebetet wird, wie sie denn idealerweise auszusehen hätten und wie ein gesunder Körper beschaffen sein sollte.
»Busen mit neun, Schamhaare mit zehn«, titelte die Süddeutsche im Juni 2012. Scheinbar ratlos blickten sowohl die Experten als auch die Eltern auf dieses Phänomen: Warum so früh? Mögliche Antworten könnten natürlich die Umwelt- und Lichtverschmutzung oder Plastikbestandteile wie Bisphenol A sein. Der Weichmacher ist voller Weiblichkeit, sprich Östrogen, und er mischt sich unsichtbar in die Nahrungsmittelkette. All diese Sachargumente klingen rational, wissenschaftlich und bieten für ein scheinbar biologistisches Problem eine ebenso biologistische Erklärung nach dem Motto: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Würde man diese Folgekette weiter in die Zukunft spannen, so müssten dann ja in 100 Jahren schon 5-jährige Mädchen zu menstruieren beginnen. Da schaudern selbst die hartnäckigsten Biologisten. Es muss also noch andere Gründe für diese körperlichen Veränderungen geben, jenseits der Biologie.
Philosophisch gesehen erklären wir nun die frühe Pubertät vor dem Hintergrund
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