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Die Vermessung der Frau

Die Vermessung der Frau

Titel: Die Vermessung der Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regula Stämpfli
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Porno lebt von der chirurgischen Ausleuchtung des jeder Stimme beraubten Körpers.

    Ich gebe Ihnen hierzu ein konkretes Beispiel:

    Die Zuspitzung auf das rein Sexuelle und die Verbannung des geheimnisvollen Begehrens wird in einem Trend am besten sichtbar, der uns seit kurzem an allen Ecken und Enden begegnet. Es handelt sich um das Pole Dancing, den Tanz an der Stange.

    Der Trend stammt aus dem Coca-Cola-Land. Junge Studentinnen trainieren ihre Luxuskörper nicht mehr mit banalen Pilates- oder Yogaübungen, nein, es muss was ganz »Weibliches« wie »Pole Dancing« herhalten. Frauen in aller Welt behaupten, dabei handle es sich ebenso um Sport wie beim Frauenfußball. Oprah Winfrey hat einen Trend gesetzt und die Stange im heimischen Vorstadtschlafzimmer salonfähig gemacht, indem sie behauptete, es gäbe nichts Geileres für eine Frau als Pole Dancing.
    Das Stangenräkeln wird mittlerweile sogar bei uns an vielen Volkshochschulen angeboten und die in der Schweiz eher für ihre Biederkeit bekannte Klubschule der Supermarktkette Migros war eine der ersten Fortbildungsorganisationen, die Pole-Dancing als Weiterbildung in ihr Programm aufnahmen. Inzwischen gibt es sogar eine Pole Dancing-Weltmeisterschaft, die 2012 in Zürich durchgeführt wurde. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch das amerikanische »Lap Dancing« als »echter« Sport für vierjährige Mädchen angeboten wird.

    Weshalb nun sind solch absurde Vorstellungen von »Sexyness«, Sport und Weiblichkeit auch bei uns so alltäglich geworden? Weshalb lachen wir uns über die geölten Frauenleiber, die sich mit einiger Anstrengung öffentlich und leichtbekleidet um
eine Stange räkeln, sich die Stange zwischen die Beine stecken, um daran rauf- und runterzugleiten, nicht einfach tot? Die Komik dieses Sportes, der sich aus den Bordellbetrieben des Rotlichtmilieus zum Hausfrauenturnen emporgehangelt hat, liegt ja darin, dass sich ganz normale Frauen die Tricks der Prostituierten und Bordelltänzerinnen aneignen wollen. Vielleicht bin ich ungerecht, und die Hausfrauen und die jungen Mädchen optimieren einfach nur ihren Lebenslauf. Denn heutzutage gelten auf dem Wettbewerbsmarkt der Geschlechter eben andere Tugenden als Intellektualität oder guter Stil.

    Was soll also das Pole Dancing? Es ist wohl die hilflose Kompensation für eine Welt, in der Weiblichkeit in Tat und Wahrheit nichts mehr zu suchen hat. Je mehr Frauen sich gerade in der Arbeitswelt wie Männer benehmen müssen und das auch tun, je mehr Migrantinnen aus der arabischen Welt sich vollverschwärzt auf den westlichen Straßen tummeln, umso weniger Weiblichkeit ist sichtbar.

    Ich sehe Pole Dancing als einen Teil unserer lebensentfremdeten Kultur, die sich vor allem in der grell ausgeleuchteten Repräsentation des weiblichen Körpers äußert. Je mehr klassische Weiblichkeit aber realiter verschwindet, umso mehr wird sie inszeniert.

    So verschwindet wirkliche Weiblichkeit in unserer Wahrnehmung und somit auch real. Gleichzeitig wird eine Pseudoweiblichkeit klischiert, überhöht und wie in einer billigen Soap-Opera inszeniert. Es ist wie mit der Liebe. Je härter der Sex, je kälter die Datingagenturen, desto romantischer wird der Liebeskitsch. So ergeht es auch dem pole dancing. Je weniger ein Sport mit echten Frauen zu tun hat, umso weiblicher wird er inszeniert. Denn Pole Dancing ist nur für den Männerblick gedacht und bedient den weiblichen Narzissmus. Die Frauen zeigen, die Männer schauen.

    Diese falschen Spiegelungen verführen uns Menschen, so dass wir über Pole Dancing nicht lachen, sondern Sport oder Sexismus rufen, ohne zu sehen, was hier vor unser aller Augen passiert.

    Hier gälte es einzuhalten. Weiblichkeit ist ein Gefühl, kein Ort. Statt Pole Dancing empfiehlt sich als echt weiblicher »Sport« der Tango oder der Flamenco. Hier werden die Archetypen »Mann und Weib« musisch, spielerisch, tänzerisch inszeniert, während beide Geschlechter nicht nur ihre Unterwäsche tragen, aber ungleich erotischer sind. In solch authentischen und nicht konsuminszenierten Geschlechterrollen lässt sich einiges erfahren über die Spannung, das Geheimnis der Archetypen von männlich und weiblich. Im klassischen Tango führt der Mann, und die Frau glänzt. Das Bewegungsrepertoire ist so klar entlang der Geschlechterlinien, dass der Tango auch von homosexuellen Menschen verehrt wird.
    Tiefenpsychologisch spannend ist, dass der Mann beim Tango zwar der Führende ist, aber wenn die

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