Die Vermessung des Körpers
sie zwar definitiv durch den Zug getötet, aber Sie retten dadurch die anderen 20 Menschen. Wenn Sie nichts tun, werden diese 20 Menschen sterben. Was sollen Sie tun?
Die meisten Leute würden den Hebel umlegen, um den Zug abzuleiten, und lieber einen Menschen töten als 20. Viele könnten sich jedoch nicht dazu überwinden, die Person von der Brücke zu stoßen, obwohl dieses Opfer scheinbar doch exakt dasselbe wäre.
Psychologen sagen, man sei ethisch zwar dazu in der Lage, einen Menschen aus der Entfernung per Knopfdruck zu töten, um andere zu retten, die direkte körperliche Handlung indes werde blockiert, so unlogisch das auch erscheine.
Sie verweisen darauf, dass sich derselbe Wandel in der Kriegführung vollzogen habe, als die menschliche Technologie der gegenseitigen Tötung weiterentwickelt wurde – vom Kampf Mann gegen Mann zu Patronen und Raketen. Ich persönlich hingegen denke, dass dieses Gedankenexperiment ungenügend ist, so nützlich es auch dafür sein mag, einen Einblick in unsere ethischen Systeme zu erlangen.
Das Problem ist, dass die beiden Eisenbahn-Szenarien nicht gleichermaßen plausibel sind. Das erste Beispiel könnte sich tatsächlich so zutragen. Es wäre durchaus möglich, einen Hebel zu bedienen und dadurch einen Zug auf ein anderes Gleis zu leiten, damit anstatt 20 nur ein einziger Mensch ums Leben kommt. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass es einen Druckschalter gibt, der Ihr doppeltes Gewicht erfordert, und dass zufällig eine Person in der Nähe sitzt, deren Gewicht Sie auch noch kennen. Die ursprüngliche Fassung dieses Problems, die Form, in der es bei psychologischen Tests regelmäßig eingesetzt wurde, ist sogar noch weniger plausibel. Darin ist die Person auf der Brücke so fett, dass allein ihr Gewicht den Zug aufhalten könnte, was für ein sehr bedenkliches Verständnis von Physik seitens der Psychologen spricht.
Schlimmer noch ist aber, dass die Psychologen den Faktor Wahrscheinlichkeit vergessen. Der erste Test ist nicht nur als Szenario plausibler, man kann auch davon ausgehen, dass – von technischem Versagen abgesehen – der Zug tatsächlich auf das andere Gleis geleitet wird, wenn man den Hebel umlegt. Wenn man hingegen jemanden von einer Brücke stoßen soll, gibt es unzählige Möglichkeiten, wie dies schiefgehen könnte, selbst wenn einem weisgemacht wird, dass es auf jeden Fall klappt. Der Betreffende könnte, nur zum Beispiel, an der falschen Stelle aufkommen. Der hohe Grad an Unsicherheit im zweiten Test führt dazu, dass ein Handeln hier weitaus weniger erfolgversprechend erscheint, selbst wenn es keine ethischen Bedenken dagegen gäbe, jemanden durch direkte Einwirkung zu töten.
Vertrauen und Ultimaten
Ein anderes Experiment, das man selbst durchführen kann, zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie wir bei unserer Entscheidungsfindung Logik und Emotion, Vertrauen und Berechnung gegeneinander abwägen – ebenfalls etwas, womit Computer ihre Schwierigkeiten hätten. Wir treffen ständig Entscheidungen. Der nachfolgend beschriebene Versuch geht der Frage auf den Grund, was dabei wirklich in uns vorgeht – es ist nämlich kein einfacher Vorgang, wie es zunächst erscheinen mag. Das Experiment heißt »Ultimatum-Spiel«.
----
Experiment – Das Ultimatum-Spiel
Probieren Sie es aus, wenn Sie ein paar Freunde zu Besuch haben, mit denen Sie herumexperimentieren können (oder bei Ihrem nächsten Kneipenbesuch). Sie benötigen zwei Personen und eine geringe Summe Geld, von der Sie sich um des Experiments willen möglicherweise leider trennen müssen.
Erklären Sie den beiden, dass Sie ein einfaches Experiment durchführen möchten. Sie werden jeden von ihnen bitten, eine Entscheidung über etwas Geld zu treffen. Sie dürfen diese Entscheidung aber auf keinen Fall begründen. Legen Sie das Geld vor sie auf den Tisch, damit es sichtbar und real ist. Erklären Sie, dass sie dieses untereinander aufteilen sollen – an der Sache ist keinerlei Haken, es ist lediglich eine Entscheidung zu treffen.
Die erste Person muss entscheiden, wie das Geld unter ihnen aufgeteilt werden soll. Sie kann es 50 zu 50 oder auf jede beliebige andere Weise aufteilen, der Entscheider kann aber auch alles behalten. (Es ist hilfreich, wenn Sie das Geld so stückeln, dass jede dieser Möglichkeiten leicht umsetzbar ist.) Die Person, die die Entscheidung trifft, darf darüber kein Wort verlieren, sondern nur verkünden, wie das Geld aufgeteilt wird. Die zweite Person sagt dann
Weitere Kostenlose Bücher