Die Vermessung des Körpers
aber ungesunden Schokoriegel oder Hamburger essen?). Aber auch lebenswichtige Entscheidungen, wenn es etwa um die Einnahme harter Drogen oder hochriskante Aktivitäten geht, sind betroffen. Menschen sind nicht besonders fähig, Langzeitwirkungen in ihren Entscheidungsprozess einfließen zu lassen. Meist sind wir uns dieser Faktoren durchaus bewusst, wir wissen genau, worum es dabei geht, doch überwiegt eine schnelle Gratifikation sehr häufig die längerfristigen Vorteile.
Wirtschaftler haben seit jeher ein besonders schlechtes Verständnis von menschlichen Entscheidungsprozessen. Sie erwarten stets ein perfekt rationales Verhalten, wobei »perfekt« und »rational« als Verhalten definiert sind, das in unserem Beispiel den finanziellen Vorteil für das Individuum optimiert. Ein solcher Ansatz ist jedoch extrem naiv, wenn man es mit echten menschlichen Wesen zu tun hat.
Es könnte Sie treffen
Nehmen wir ein simples Beispiel wie die Teilnahme an der Lotterie. Es ist extrem unwahrscheinlich, einen Hauptgewinn einzufahren. Die Chancen auf einen Lottogewinn stehen Millionen zu eins – ebenso gut könnte man bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen oder vom Blitz getroffen werden. Und doch spielen Millionen von Menschen jede Woche Lotto. Warum tun sie das? Zum Teil spiegelt es unsere Unfähigkeit wider, mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen.
Stellen Sie sich vor, eines Tages würden die Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, 6 gezogen. Es gäbe einen Aufschrei. Bestenfalls würde angenommen, der Mechanismus des Ziehungsgeräts wäre defekt, schlimmstenfalls käme es zu Betrugsvorwürfen. Möglicherweise müsste sich sogar das Parlament mit der Angelegenheit befassen. Und doch besteht für diese Zahlenfolge exakt dieselbe Wahrscheinlichkeit wie für die Zahlen vom vergangenen Samstag (in meinem Fall waren das 29, 9, 15, 39, 17 und 30).
Erst wenn wir eine Zahlenfolge wie 1, 2, 3, 4, 5, 6 sehen, wird uns klar, wie unwahrscheinlich ein Lottogewinn tatsächlich ist – diese astronomischen Zahlenverhältnisse sind für uns, die wir mathematisch von Natur aus wenig begabt sind, äußerst verwirrend. Im Umgang mit solchen Zahlen tun wir uns schwer. Die Mathematiker, Wissenschaftler und Wirtschaftler, die andere Leute regelmäßig als dumm bezeichnen, weil sie Lotto spielen, haben jedoch überhaupt nicht verstanden, worum es dabei eigentlich geht. Sie halten sich an ein äußerst unzureichendes Modell menschlicher Entscheidungsfindung.
Ich glaube zwar, dass ich die Wahrscheinlichkeitsrechnung einigermaßen verstehe, trotzdem spiele ich Lotto. Zugegeben: in sehr begrenztem Rahmen mit einem geringen monatlichen Budget, aber dennoch spiele ich. Warum also tue ich es? Das hängt mit jener Art von Gratifikation zusammen, die die traditionelle Wirtschaftslehre regelmäßig außer Acht lässt.
Ist die Summe, mit der ich spiele, so gering, dass ich sie als verzichtbar verbuchen kann (vielleicht ist es so viel, wie ein Getränk in einem Café einmal pro Woche kostet), dann fällt es mir leicht, den beinahe unvermeidlichen Verlust gegen die sehr geringen Gewinnaussichten auf eine gigantische Summe aufzurechnen. Was die Plus-Seite dieser Gleichung noch verstärkt, ist, dass ich ungefähr alle paar Monate einen kleinen Gewinn mache. Diese Summe liegt meist irgendwo zwischen drei und zehn Pfund, doch genieße ich jedes Mal die erregte Vorfreude, wenn ich von der Lotteriegesellschaft eine E-Mail mit dem Betreff »Überprüfen Sie Ihr Konto« im Postfach habe. Einige Minuten lang ist alles offen.
Betrachtet man die Entscheidung zur Lotterieteilnahme als rational, ist einer der wichtigen Faktoren dabei, dass ich meinen Einsatz vollkommen vergesse, wenn ich keine solche E-Mail bekomme. Ich weiß auch nicht mehr, welche Zahlen ich getippt habe. Was mich anbelangt, so schreibe ich das Geld ab, sobald ich meinen Tipp abgegeben habe – genauso, als hätte ich damit einen Kaffee bezahlt. Auf diese Weise ist jeder Gewinn eine reine Freude, weil ich keine direkten Kosten mehr damit verbinde. Seien wir ehrlich: Das Einzige, was ich am Tag nach einem Besuch bei Starbucks vielleicht bekomme, sind Verdauungsprobleme. (Ich will Starbucks damit keinesfalls schlecht machen. Es ist einfach so, dass ich Kaffee nicht vertrage, obwohl ich ihn gerne mag.)
Die Wirtschaftswissenschaftler begreifen nichts
Eine allein auf monetärem Denken begründete Entscheidung lässt jegliches Vergnügen außer Acht. Dabei wird jeder Vorteil, der sich nicht in barer Münze ausdrücken
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