Die Vermessung des Körpers

dieselben Daten gibt. Das Gehirn ist aufgrund äußerer Einflüsse viel anfälliger dafür, seine Meinung zu ändern.
    Ein offensichtliches Beispiel ist die Laune. Wie leicht trifft man eine schlechte Entscheidung einfach deshalb, weil man schlechte Laune hat, und schneidet sich dadurch ins eigene Fleisch, wie die Redensart lautet. Man trifft bisweilen Entscheidungen, die schlecht für einen sind, weil man jemanden irritieren oder einfach nur schwierig sein will. Zwei verschiedene Untersuchungen aus dem Jahr 2011 ergaben außerdem, dass auch der Zustand Ihrer Harnblase überraschenderweise Einfluss auf Ihre Entscheidungen hat.
    In einer dieser Forschungsarbeiten, die das etwas unglücklich benannte Konzept des »inhibitorischen Überlaufs« beschreibt (immerhin sprechen wir hier von der Harnblase), geht es darum, wie wir mit Entscheidungen, bei denen die Selbstbeherrschung eine wichtige Rolle spielt, besser umgehen können, wenn wir starken Harndrang verspüren. Es scheint, als wirkte sich die notwendige und bewusste Kontrolle über die Muskulatur dahingehend aus, dass man auch eine bessere Kontrolle über Entscheidungen hat, die sonst eher reflexartig getroffen würden. Diese reichen von der blitzschnellen Identifikation eines Menschen bis hin zu finanziellen Entscheidungen, die kurzfristig Vorteile bringen, aber langfristig in Problemen resultieren könnten.
    Die andere Studie zeigt, dass eine volle Blase sich nicht unbedingt positiv auswirken muss: Sie kann einen ebenso gut zu falschen Entscheidungen verleiten. Wie jeder bestätigen wird, der einmal zu fahren versucht hat, als er dringend auf die Toilette musste, kam man hier zu dem Ergebnis, dass es schwieriger für uns ist, aufmerksam zu bleiben und Informationen im Kurzzeitgedächtnis zu speichern, wenn wir eine übervolle Blase haben. Das bedeutet, dass starker Harndrang zu einem erhöhten Unfallrisiko führt.
    Es scheint vielleicht so, als widersprächen sich die beiden Studien, aber Ihr Gehirn ist so komplex, dass sich die jeweiligen Ergebnisse durchaus ergänzen. Die Tatsache, dass es Ihnen schwerer fällt, sich zu konzentrieren und Informationen im Gedächtnis zu behalten, wenn Sie eine volle Blase haben, bewirkt vermutlich, dass Sie keine große Lust verspüren, impulsive Entscheidungen zu treffen, sondern eher einen Gang zurückschalten und größere Selbstbeherrschung üben. Das ist gut, wenn man viel Zeit hat, aber nicht, wenn man ständig wichtige Entscheidungen treffen muss. Es ist wahrscheinlich sehr sinnvoll, dass Flugzeugpiloten und Fernfahrer regelmäßige Ruhepausen einlegen müssen.
Die hirneigenen Schmerzmittel
    Außerdem müssen wir bedenken, wie wichtig das Gehirn ist, wenn es um das Schmerzempfinden geht. Wir bringen Schmerz zwar mit dem Körperbereich in Verbindung, wo wir uns verletzt haben, dochdas Schmerzempfinden wird im Gehirn erzeugt, was bedeutet, dass das Gehirn dieses Empfinden auch ausblenden kann. Wir haben bereits gesehen, dass Fluchen (siehe S. 55) und Aspirin (siehe S. 151) Schmerzen lindern können. Eine weitere effektive Methode ist die Verabreichung von Placebos. Dies sind Scheinmedikamente ohne Inhaltsstoffe, meist Zuckerpillen, die man verwendet, um neue Arzneimittel zu testen. Hat ein Arzneimittel keine bessere Wirkung als ein Placebo, lohnt sich die Einnahme nicht.
    Man weiß hingegen seit geraumer Zeit, dass Placebos selbst eine durchaus positive Wirkung haben. Glaubt das Gehirn, dass die eingenommene Pille eine positive Wirkung hat, tritt diese häufig auch ein. Das gilt insbesondere für die Schmerzlinderung. Das Gehirn kann die Schmerzsignale auf natürliche Weise ausschalten, was durch ein Placebo ausgelöst werden kann. Im Fall der Schmerzlinderung lässt ein Placebo das Gehirn glauben, der Schmerz ließe nach. Das Gehirn macht dies zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, indem es natürliche Schmerzmittel freisetzt, etwa morphinartige Endorphine.
Homöopathischer Irrglaube
    Dies scheint auch die Wirkungsweise vieler »alternativer« Arzneimittel zu sein. Homöopathische Arzneimittel etwa sind als Medizin an sich völlig wirkungslos. Die Homöopathie funktioniert angeblich durch die Kombination des überkommenen medizinischen Gedankens, dass eine geringe Dosis eines Gifts heilsam sei, und der magischen Auffassung, dass etwas, das etwas anderem ähnelt, auch eine ähnliche Wirkung besitzt. Man nimmt also eine geringe Dosis Gift ein, das ähnliche Symptome hervorruft wie diejenigen, unter denen man leidet,