Die Vermessung des Körpers
Kreatur bis zu Ihnen zu gelangen. Beachten Sie jedoch, dass die durchschnittliche Generationsdauer über diese 75 Millionen Jahre vielleicht bei fünf oder weniger Jahren liegt, was mindestens 15 Millionen Generationen ergibt, während derer sich kleinste Veränderungen akkumulierten und schließlich zu etwas völlig anderem führten.
Manche, sogar ziemlich viele Vorfahren-Türme schafften es nicht bis in die heutige Zeit. Denken Sie nur an die Dinosaurier. Deren Turm hat einen ebenso reichen Unterbau wie Ihrer, doch er endet vor rund 65 Millionen Jahren. (Beachten Sie in diesem Zusammenhang, dass wir uns vor einer ganz ähnlichen Zeitspanne von unserem gemeinsamen Vorfahr mit den Mäusen abgezweigt haben.) Andere Türme enden vor Milliarden von Jahren. Keiner dieser Rumpf-Türme repräsentiert eine heute lebende Spezies.
Ebenso möglich ist es, dass es Vorfahren-Türme gibt, die nicht von demselben ersten Stein ausgehen wie der unsere. Wir wissen nicht, wie das Leben auf der Erde begann, aber wenn es einmal geschah, hätte es auch mehrmals geschehen können, unabhängig voneinander und an verschiedenen Orten. Es ist trotzdem wahrscheinlich, dass alle bis heute entdeckten Lebewesen in unserem Turm – Tier oder Pflanze – von demselben ersten Legostein abstammen. Das liegt daran, dass alle bekannten Lebewesen signifikante Aspekte miteinander gemein haben. Eine völlig einzigartige Lebensform, die nicht auf einer Kohlenstoffstruktur aufgebaut ist und keinen DNS-Mechanismus (und/oder die damit zusammenhängende chemische RNS) als Steuerungsstruktur besitzt, müssen wir erst noch entdecken.
Stolz, »nur eine Theorie« zu sein
Der Mechanismus, mit dem der Turm erklommen wird, ist die Evolution. Der Körper, den Sie im Spiegel sehen, ist das Produkt eines langen evolutionären Prozesses. Über die Evolutionstheorie wird eine Menge Unsinn geredet. Manchmal wird sie als »bloße Theorie« angegriffen. Das ist ein grundlegendes Missverständnis des Wesens der Wissenschaft – die gesamte Wissenschaft besteht nämlich aus solchen »bloßen Theorien«.
Nehmen wir einmal einen wissenschaftlichen Grundstein wie Newtons Bewegungsgesetze, dann haben wir ein paar ganz einfache Regeln, die etwa folgendermaßen lauten:
Ein Körper behält seine Geschwindigkeit (auch den Ruhezustand) bei, solange nicht eine Kraft auf ihn einwirkt.
Die Größe der Kraft, die auf einen Körper einwirkt, ist gleich der Masse des Körpers mal der Beschleunigung in Richtung der Kraft.
Jede Aktion hat eine gleiche und entgegengerichtete Reaktion.
Bestimmt sind diese Regeln nicht nur eine »bloße Theorie«, oder? Nun, sie sind es aber. Die Wissenschaft funktioniert folgendermaßen: Ein Wissenschaftler oder ein Team stellt eine Hypothese auf, zum Beispiel so etwas wie die oben aufgeführten Gesetze. Dann überprüfensie diese im Versuch: »Lässt sich so etwas feststellen? Ja, tatsächlich, also wird die Hypothese untermauert.« Je mehr Anhaltspunkte man dafür findet, dass etwas stimmt, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Theorie brauchbar ist. Wenn eine Hypothese einmal zur Theorie wird, hat sie dem Experiment standgehalten und ist anwendbar. Dennoch kann irgendwann später das Gegenteil bewiesen werden.
Newton hatte unrecht
Mit Newtons zweitem Bewegungsgesetz ist dies tatsächlich geschehen. Einsteins spezielle Relativitätstheorie zeigt, dass, wenn sich etwas bewegt, die Beziehung zwischen Kraft und Beschleunigung weitaus komplexer ist, als Newton gedacht hatte. Bis jetzt hat uns die spezielle Relativitätstheorie nie enttäuscht; es ist eine bessere Theorie als die von Newton. Andererseits macht der Fehler in Newtons Theorie meist keinen erkennbaren Unterschied. In den meisten Fällen können wir also immer noch guten Gewissens die einfachere Theorie Newtons anwenden.
Jede Theorie kann widerlegt werden – man braucht nur ein paar neue Beweise. Das gilt auch für Theorien, denen man das irreführende Etikett »Gesetz« angeheftet hat. Keine wissenschaftliche Theorie lässt sich absolut beweisen, weil es immer wieder neue Erkenntnisse geben kann, die unsere ursprünglichen Annahmen falsch erscheinen lassen. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Wissenschaft nicht besser als komplett erfundene Ideen (wie etwa die Magie) wäre. Sie liefert uns anhand unserer aktuellen Erkenntnisse stets das beste Bild – aber sie ist ein fortwährender Prozess.
Die Evolution ist in demselben Sinne eine Theorie wie die Newton’schen Gesetze, auch sie
Weitere Kostenlose Bücher