Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vermessung des Körpers

Die Vermessung des Körpers

Titel: Die Vermessung des Körpers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Clegg
Vom Netzwerk:
Linie kosmetischer Natur. Sie gehören derselben Spezies an wie Ihre Eltern.
    Blicken wir weiter zurück, dann gibt es auch keinen abrupten Übergang zwischen Mensch und Vormensch oder, noch weiter zurück, zwischen einem dinosaurier- oder eidechsenartigen Wesen und einem Säugetier. Jedes Mal ist der Nachwuchs dieselbe Spezies wie seine Eltern, und doch gelingt die Entwicklung von einzelliger Primitivität zu den Vorfahren der Pflanzen, Fische, Dinosaurier, Säugetiere und der mit uns verwandten Affen.
    Deshalb ist die viktorianische Vorstellung eines »fehlenden Bindeglieds« so irreführend. Sie unterstellt eine größere Veränderung zwischen den Generationen, die niemals stattgefunden hat. Der Begriff des »fehlenden Bindeglieds« ist daher völlig überkommen. Er entspringt dem Gedanken, die Natur bestünde aus einer langen Kette von den einfachsten Lebensformen (wie den Bakterien) zu den komplexesten (den Menschen), und alles, was je gelebt hätte, ließe sich in diese Struktur einpassen – außer, dass es in der Kette eben ein paar fehlende Glieder gibt. Das Problem mit diesem Bild ist, dass es nicht möglich ist, die Kette in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. Steht einKolibri über einer Maus? Ist ein Regenwurm ein höheres oder ein niedrigeres Lebewesen als ein Seeringelwurm? Das ergibt alles keinen Sinn.
Verkettung unmöglich
    Unser Turmentwurf besitzt noch ein anderes kleines, aber wichtiges Merkmal. Normale Legosteine haben alle dieselben Erhebungen und Löcher, sodass jeder Stein zu einem beliebigen anderen passt. Bei unseren Vorfahren-Steinen ändern sich Form, Größe und Anzahl der Erhebungen ganz langsam mit der Position im Turm. Die Unterschiede zwischen dem Stein, der Ihren Körper darstellt, und dem Stein Ihrer Eltern sind nicht erkennbar. Es sollte auch möglich sein, einen Stein mit einem anderen, der sich viele Generationen früher, also weiter unten im Turm befindet, zu verbinden. Doch wenn man den Turm weiter hinabgeht, gelangt man irgendwann zu einem Stein, mit dem der moderne Stein einfach nicht mehr zusammenpasst.
    Hier liegt, was Sie betrifft, die Grenze der Spezies. Der Vorfahrenstein, zu dem Sie nicht mehr passen und den wir einmal Fred nennen wollen (wenngleich er beiderlei Geschlechts sein könnte), gehört einer anderen Spezies an als der Ihren. Sie sind inkompatibel. Biologisch wäre es Ihnen nicht möglich, mit Fred Nachwuchs zu zeugen.
    Das wirklich Wichtige, aber auch ziemlich Verwirrende daran ist, dass wir Fred nicht als Punkt festlegen können, an dem eine neue Spezies begann. Hunderte von Steinen zu beiden Seiten von Fred gehören derselben Spezies wie Fred an; sie können sich miteinander paaren. Fred ist jedoch einfach eine andere Spezies als Sie. Dies zeigt, dass die ganze Vorstellung von »Spezies« ein künstliches Konstrukt ist, ersonnen von Biologen, bevor sie die Evolution begriffen. Der Gedanke ist als Anhaltspunkt ganz brauchbar, aber man muss ihn als relativ betrachten, nicht als absolut.
Das Babel der Türme
    Der Vorfahren-Turm, der Ihren Körper hervorgebracht hat, steht nicht alleine. Jedes Lebewesen hat seinen eigenen Turm. Manche Türme sind dabei Ihrem recht ähnlich. Ein Schimpanse etwa hateinen identischen Turm, bis man an einen Punkt nahe der Spitze gelangt, wo der menschliche Turm und der des Schimpansen auseinander gehen.
    Dieser Punkt, an dem sich unser letzter gemeinsamer Vorfahr mit den Schimpansen befindet, liegt näher, als Sie vielleicht denken. Unser Turm reicht über 3 Milliarden Jahre zurück, doch trennen wir uns erst vor 7 bis 20 Millionen Jahren von den Schimpansen. Das bedeutet, dass sich nur etwa 0,3 Prozent der Legosteine in Ihrem Turm von denen der Schimpansen unterscheiden. Das soll nicht heißen, dass der Mensch in irgendeiner Form vom Schimpansen oder einem anderen heutigen Affen abstammt. Wir stammen lediglich von demselben Vorfahr ab, der weder Mensch noch Schimpanse war.
    Greifen wir noch einen anderen Divergenzpunkt heraus: Unser mit den Mäusen gemeinsamer Vorfahr lebte vor etwa 75 Millionen Jahren. Geht man bis zu diesem Punkt im Vorfahren-Turm zurück, stößt man dort auf ein kleines Säugetier, das wahrscheinlich mehr wie eine Maus als wie ein Affe aussieht, aber keines von beiden ist. Die Zeitspanne von 75 Millionen Jahren erscheint indes nicht besonders lang, wenn man bedenkt, dass es bereits seit 3 Milliarden Jahren Leben auf der Erde gibt. Vielleicht erscheint sie sogar nicht einmal lang genug, um von einer mausartigen

Weitere Kostenlose Bücher