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Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing

Titel: Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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denen ich mir hätte Schaden zufügen können, hatte ich nicht. Dass ich alle persönlichen Gegenstände abgeben musste, war eigentlich das Allerschlimmste. Es war entwürdigend und beleidigend. Mit glühendem Gesicht stand ich vor ihnen und war kurz davor, in Tränen auszubrechen.
    Die Haftbeamtin holte einen Schlüsselbund und kam hinter ihrem Schreibtisch hervor. Sie summte abwesend vor sich hin und sagte dann: » Hier lang, bitte.«
    Ich folgte ihr durch eine ziemlich ramponierte Tür, die zu einer Reihe von Zellen führte, von denen einige offenbar belegt waren. Bei anderen stand die schwere Tür offen. Es stank unerträglich nach Urin, Erbrochenem und menschlichen Exkrementen. Am äußersten Ende des Ganges blieb die Beamtin stehen.
    » Da wären wir«, verkündete sie.
    Ich schaute durch die offene Tür und sah eine komplett leere Zelle. Drinnen gab es lediglich einen Betonblock so groß wie ein Bett und in der Ecke eine Toilette, die ich lieber nicht näher in Augenschein nehmen, geschweige denn benutzen wollte. Ich ging hinein, blieb in der Mitte des Raumes stehen und sah mich um. Nackter Betonfußboden. Beige Wände. Hohe Fenster. Ein einziges Nichts. Hinter mir fiel die Tür zu. Das metallische Geräusch, als der Schlüssel sich im Schloss drehte, strapazierte meine ohnehin schon angegriffenen Nerven bis aufs Äußerste. Ich drehte mich um und sah durch die Luke in der Zellentür die Augen der Haftbeamtin. Anscheinend war sie zufrieden mit dem, was sie sah, denn ohne weiteren Kommentar schloss sie die Luke und ließ mich allein.
    Als sie Stunden später wiederkamen, hatte ich es mir inzwischen so bequem gemacht, wie es auf einer kahlen Betonplatte eben möglich war, und saß mit hochgezogenen Knien gegen die Wand gelehnt. Obwohl auf den ersten Blick alles sauber wirkte und vermutlich sorgfältig desinfiziert worden war, musste ich die ganze Zeit darüber nachdenken, wer vor mir hier schon alles gesessen haben mochte. Vermutlich hatten sich in der Zelle schon alle erdenklichen Körperfunktionen abgespielt– bis auf Entbindungen vielleicht.
    Ich hatte sehr lange warten müssen. Jedes Mal, wenn die Haftbeamtin im Gang mit ihrem Schlüsselbund klimperte, krampfte sich mein Herz zusammen. Jedes Mal fielen Angst und Erwartung nur langsam wieder von mir ab. Abgesehen davon, dass ich eine Tasse Tee angeboten bekam, die ich ablehnte, und ein Glas Wasser, das ich annahm, war ich allein, seit ich in der Zelle eingeschlossen worden war. Das Wasser in dem kleinen Pappbecher war lauwarm und fühlte sich ölig an. Obwohl es viel zu wenig war, traute ich mich nicht, um einen weiteren Becher zu bitten.
    Während ich also dasaß und mich bemühte, nicht in Panik zu verfallen, überlegte ich, was ich bei der Vernehmung sagen könnte. Vickers kannte mich doch. Ich würde an ihn appellieren, vielleicht sogar an Blake. Ich war doch ein anständiger und ehrlicher Mensch, und sie mussten einem schrecklichen Irrtum aufgesessen sein. Ich würde sie doch bestimmt überzeugen können.
    Zwar war ich noch nicht so weit, dass ich anfing, die Ziegel in der Wand zu zählen oder ruhelos auf und ab zu laufen, aber ich hatte es schon gründlich satt, eingesperrt zu sein. Da hörte ich endlich, wie ein Schlüssel im Schloss klapperte. Kurz darauf öffnete sich meine Zellentür. Herein kam die Haftbeamtin mit einem Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Er war klein und schmächtig und hielt sich sehr aufrecht. Er hatte ein finsteres Gesicht und trug einen tadellos sitzenden, dunkelblauen Anzug und eine silbergraue Krawatte.
    » Das ist DS Grange«, erklärte die Haftbeamtin. » Er wird sie hinunter zur Vernehmung begleiten. Los, kommen Sie schon. Lassen Sie uns nicht warten.«
    Langsam erhob ich mich von meiner Bank, Adrenalin schoss mir in die Adern, und das Blut pulsierte in meinen Ohren. Aus der Nähe sah ich, dass DS Grange graue Strähnen im schwarzen Haar hatte, und ich schätzte ihn auf Mitte vierzig. Durch seine tadellose Haltung wirkte er größer, als er tatsächlich war. Eigentlich war ich daran gewöhnt, kleiner zu sein als mein Gegenüber, doch sein Größenvorteil war deutlich geringer als bei den meisten anderen Männern. Die Haftbeamtin beispielsweise überragte ihn um gut fünf Zentimeter.
    » Da lang«, sagte Grange kurz angebunden, und ich folgte ihm durch die Tür am Ende des klammen, von Zellen gesäumten Ganges. Wir erreichten einen weiteren düsteren Korridor, den er raschen Schrittes durchquerte, wobei er sich

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