Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
sagte halb flüsternd: » Ich hätte gedacht, dass du Angst vor mir hast.«
» Wegen der Sachen, die du getan hast? Oder weil du mich überfallen hast?« Ich spürte das Zittern in meiner Stimme, das er hoffentlich überhörte.
» Das habe ich nie getan.« Er schüttelte den Kopf. » Das hast du alles falsch verstanden.«
» Doch, du hast mich überfallen«, widersprach ich. » Du hattest alle möglichen Sachen von mir bei dir zu Hause und fandest es wahrscheinlich aufregend, mir Angst einzujagen.«
» Nein, das stimmt nicht. Ich wollte dich nicht erschrecken. Das hatte ich wirklich nicht vor.« Seine Miene wurde freundlicher. » An diesem Abend, als ich dich festgehalten habe– da konnte ich deinen Herzschlag spüren, wie bei einem kleinen Vogel.« Er sprach jetzt ganz sanft. » Wo warst du denn bloß? Ich habe stundenlang gewartet.«
Ich ignorierte die Frage. Ich bebte vor Zorn, wahrte nach außen hin jedoch die Fassung. » Wenn du mir keine Angst machen wolltest, was genau wolltest du denn dann damit erreichen?«
Er wandte sich ab und ließ den Kopf von einer Schulter zur anderen kreisen. Das sollte wohl locker wirken, war aber nichts als ein Versuch, Zeit zu schinden. Schließlich antwortete er: » Weißt du, ich brauchte einfach eine Gelegenheit, um dir nahezukommen, verstehst du? Ich dachte, ich könnte dir deine Sachen wiedergeben und dabei mit dir reden. Seit Jenny nicht mehr da war, wusste ich nicht, wie ich den Kontakt zu dir halten sollte.«
Kontakt halten? Er hatte nicht die leiseste Vorstellung, dass von einer echten Beziehung keine Rede sein kann, wenn man jemanden ausspioniert und beklaut. Er tat mir beinahe leid. Aber nur beinahe.
» Aber wir hatten doch gar keinen Kontakt zueinander. Du kennst mich überhaupt nicht. Du hast keine Vorstellung davon, wie ich wirklich bin.«
» Ich kenne dich schon mein ganzes Leben«, erwiderte er schlicht. » Und genauso lange liebe ich dich schon. Was du auch getan hast, ich habe dich immer geliebt. Ich wollte einfach für dich da sein und dich beschützen.«
» Hast du deshalb Geoff zusammengeschlagen?«
» Dieser Wichser«, sagte er verächtlich und lachte. » Er hat gekriegt, was er verdient hat.«
» Und Jenny? Was hatte sie deiner Meinung nach verdient?«
Ehe er antworten konnte, schallte von unten ein Ruf den Hang herauf. Der Hund jagte aufgeregt mit dem Schwanz wedelnd auf das weiße Zelt zu, und der Hundeführer rannte neben ihm her. Danny drehte sich um und starrte hinterher. In diesem Moment sah ich ihn zum ersten Mal richtig von der Seite und erschrak. Auch das Dämmerlicht dieses verregneten Morgens konnte nicht verbergen, dass an seiner Wange ein Bluterguss prangte, der nicht von schlechten Eltern war. Die Schwellung war bläulich angelaufen und ging in der Mitte zu Dunkelrot über. Es war nicht zu übersehen, dass man ihn nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst hatte.
Obwohl ich wusste, was die heraufdringende Geräuschkulisse zu bedeuten hatte, entschied ich, dass das im Moment für mich nebensächlich war. Ich konzentrierte mich auf Danny und wartete ungeduldig auf seine Antwort.
» Jenny?« Sein Blick wurde leer. » Was meinst du damit?«
» Bist du der Ansicht, dass sie es verdient hatte zu sterben?« Meine Stimme bebte, und ich musste erst einmal tief durchatmen.
» Natürlich nicht.« Er sah mich an, als sei ich von Sinnen. » Sie war doch noch ein Kind.«
» Also bist du traurig. Weil sie tot ist, meine ich.«
» Ja. Ich werd sie vermissen. Also…« Er unterbrach sich kurz und lächelte dann. » Sie würde mir weniger fehlen, wenn wir beide– du und ich– Freunde sein könnten. Oder so was Ähnliches.«
Ich bekam eine Gänsehaut. » Aber weshalb hast du sie denn dann umgebracht, wenn sie dir so fehlt?«
Beleidigt sah er mich an. » Wie kannst du mich so was fragen? Ausgerechnet du. Ich war es nicht. Das musst du mir glauben. Ich war es wirklich nicht.«
» Und wer dann? Einer von diesen Typen, die du angeschleppt hast, damit sie sich an ihr vergehen können?«
» Ausgeschlossen«, entgegnete Danny überzeugt und schnippte seine Zigarettenkippe weg. Sie landete ein Stück weiter unten funkensprühend an einem Baumstamm. » Das kann überhaupt nicht sein. Sie wussten ja gar nicht, wer sie war. Ich hab sie beschützt. Ich hab immer auf sie aufgepasst, damit keiner ihr wehtut.«
Wehtut… Er hatte ja keine Ahnung, was dieses Wort bedeutete. Angewidert wandte ich mich ab und stieß dabei fast mit Blake zusammen, der
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