Die Vermissten - Casey, J: Vermissten - The Missing
zu viel Aufruhr in der stillen Straße erzeugt und Aufmerksamkeit auf mich gelenkt, die ich unbedingt vermeiden wollte. Außerdem hatte ich es ja gar nicht so weit bis nach Hause. Ich konnte also einfach laufen. Zum Glück war mir das nicht vor Blakes Haus passiert. Ich malte mir aus, wie ich, fünf Minuten nachdem ich mich davongeschlichen hatte, in seine Wohnung zurückgekehrt wäre, um ihn zu fragen, ob er mich vielleicht nach Hause fahren konnte. Peinlich war gar kein Ausdruck dafür.
Die Nachtluft strich mir wie eisige Hände über die nackten Arme. An eine Jacke hatte ich nicht gedacht. Ich schloss mein Auto ab, obwohl sich nichts von Wert darin befand und es eher unwahrscheinlich war, dass es gestohlen wurde, es sei denn, jemand war derart versessen darauf, dass er es abschleppen ließ. Nur zu, dachte ich missmutig und ließ den Autoschlüssel in meine Tasche fallen. Aber das meinte ich natürlich nicht ernst. Ich liebte mein Auto, meine launische Klapperkiste. Den Gedanken, dass es in unmittelbarer Nähe eines Polizeiautos stand, fand ich eher tröstlich, denn so würde bis zum nächsten Morgen, bis ich es wieder zum Rollen brachte, jemand ein Auge darauf haben. Dass die Geräusche, die es gerade von sich gegeben hatte, möglicherweise ein letztes Todesröcheln waren, war eine undenkbare Vorstellung für mich. Es musste einfach funktionieren. Aber für den Moment war ich praktisch gestrandet.
Meine Schritte hallten unnatürlich laut auf dem Straßenpflaster, als ich die Straße zurückeilte, und mir fiel auf, dass kaum etwas so einsam klingt wie jemand, der in den frühen Morgenstunden ganz allein unterwegs ist. Die Scheiben der Autos waren leicht beschlagen und zeigten mein Spiegelbild nur unscharf, wenn ich an ihnen vorbeilief, die Arme verschränkt, um mich selbst zu wärmen. Beim Ausatmen bildete sich für einen Moment eine kleine Nebelwolke vor mir. Hoch oben am Himmel stand der schneeweiße Mond und leuchtete in eisiger Vollkommenheit. Die sternenklare Nacht hatte die Wärme des Tages entschwinden lassen. Meine Tasche schlug beim Gehen rhythmisch gegen meine Hüfte– ich klimperte so laut wie eine Karawane beladener Kamele in der Wüste. Im Grunde rechnete ich jederzeit damit, dass jemand die Vorhänge beiseiteschob und mir nachstarrte.
Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis ich wieder an der Hauptstraße ankam. Bevor ich sie überquerte, schaute ich mechanisch in beide Richtungen, obwohl es kilometerweit zu hören sein musste, wenn ein Fahrzeug nahte. Die Fahrbahn verlor sich in der Ferne. Von hier aus waren es noch gut zehn Minuten zu Fuß bis zur Curzon Close, unserer Straße. Ich wechselte vom Gehweg auf den Grasstreifen neben der Straße, um das Geräusch meiner Schritte zu dämpfen. Der Tau durchnässte meine Hosenbeine, und meine Füße rutschten in den nassen Sandalen hin und her. Zu meiner Rechten lag düster und verlassen ein Spielplatz. Ich schluckte und redete mir ein, dass ich keine Angst hatte. Gänsehaut, trockener Mund und feuchte Hände konnten schließlich auch andere Ursachen haben.
Fast da. So gut wie zu Hause.
Als ich in unsere Straße einbog, knirschte etwas unter meinen Füßen. Überall auf dem Gehweg lagen Glasscherben und da, wo sich das Straßenlicht in den verstreuten Überbleibseln einer Weinflasche brach, glitzerte es gelblich. In der Luft hing ein schwerer, moschusartiger Geruch nach billigem Wein. Vorsichtshalber verlangsamte ich meinen Schritt, da die Sandalen meinen Füßen nur wenig Schutz boten. Die Nacht war windstill, kein Lüftchen vertrieb den Geruch. Die Weinflasche konnte schon vor Stunden zu Bruch gegangen sein. Niemand war hinter mir, niemand verbarg sich im Schatten, und meine Nackenhaare sträubten sich völlig grundlos. Aber andererseits konnte es nicht schaden, sich dessen noch einmal zu vergewissern. Ich blieb stehen und wandte mich halb um, betont beiläufig, aber notfalls bereit zu rennen, und sah absolut nichts, das meinen Herzschlag hätte beschleunigen können. Genervt von mir selbst schüttelte ich den Kopf und kramte in meiner Tasche nach dem Hausschlüssel. Auf dem kurzen Weg zur Eingangstür fühlte ich mich unendlich erleichtert. Ich kann mich erinnern, dass ich nicht das kleinste Geräusch hörte und nur halb den Schatten wahrnahm, der sich aus dem Dunkel der wuchernden Hecke löste, als ich daran vorbeiging. Instinktiv, ohne zu begreifen, was gerade passierte, duckte und drehte ich mich zur Seite, sodass der Schlag, der eigentlich
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